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Das vierte Opfer - Roman

Das vierte Opfer - Roman

Titel: Das vierte Opfer - Roman
Autoren: H kan Nesser
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langsamer. Bummelte gemächlich schräg über den menschenleeren Kopfsteinpflasterplatz zur Markthalle. Zwei Frauen unterhielten sich an der Ecke zur Doomsgasse, aber sie schienen ihn nicht weiters zu interessieren. Vielleicht wußte er nicht so recht, woran er bei ihnen war, vielleicht hielt ihn etwas anderes zurück.
    Vielleicht hatte er auch einfach keine Lust. Unten am Kai blieb er ein paar Minuten stehen, rauchte eine Zigarette und betrachtete die Touristenboote, die im Hafen vor sich hindümpelten. Auch der Mörder gönnte sich in diesem Moment eine Zigarette, im Schatten der Lagergebäude auf der anderen Seite der Esplanade. Er hielt sie tief in seiner hohlen Hand verborgen, damit die Glut ihn nicht verriet, und er ließ sein Opfer keine Sekunde aus den Augen.
    Als Simmel seine Kippe ins Wasser warf und seine Schritte
zum Stadtwald hin ausrichtete, war dem Mörder klar, daß es an diesem Abend soweit war.
    Zwar waren es von der Esplanade nach Rikken, dem halbmondänen Stadtteil, in dem Simmel wohnte, kaum mehr als dreihundert Meter durch den Wald, und es gab auch genügend Lampen entlang dem Spazierweg, aber diverse Feste im Sommer und Veranstaltungen im Freien hatten die eine oder andere zum Bruch gebracht – und dreihundert Meter können ein langer Weg sein... Als Simmel einen leichten Schritt hinter sich hörte, war er jedenfalls noch nicht weiter als fünfzig Meter in den Wald gekommen, und die Dunkelheit hielt ihn dicht umfangen.
    Warm und verheißungsvoll, wie gesagt, aber auch dicht. Vermutlich hatte er gar keine Zeit, um Angst zu haben. Und wenn, dann höchstens in den allerletzten Bruchteilen der letzten Sekunde. Die scharf geschliffene Klinge drang von hinten zwischen dem zweiten und vierten Nackenwirbel ein. Sie spaltete den dritten diagonal in zwei Teile, durchschnitt die Wirbelsäule, die Speiseröhre und die Halsschlagader. Wenn die Klinge nur ein paar Zentimeter tiefer geführt worden wäre, hätte sie den Kopf wahrscheinlich ganz und gar vom Körper abgetrennt.
    Was an und für sich natürlich sehr spektakulär gewesen wäre, aber für das Ergebnis an sich nur von untergeordneter Bedeutung.
    Allen denkbaren Kriterien zufolge mußte Ernst Simmel bereits tot gewesen sein, als er zu Boden fiel. Sein Gesicht traf mit voller Wucht auf den hartgetretenen Kiesweg, die Brille zersplitterte, und es kam zu einigen sekundären Verletzungen. Das Blut spritzte aus der Kehle, von oben und von unten, und während der Mörder ihn vorsichtig in die Büsche zog, konnte er immer noch ein schwaches Blubbern hören. Er wartete leise in der Hocke, bis die vier oder fünf Jugendlichen vorbei waren, wischte seine Waffe dann im Gras ab und begab sich zurück zum Hafen.

    Zwanzig Minuten später saß er an seinem Küchentisch mit einer dampfenden Tasse Tee und hörte, wie sich die Badewanne langsam füllte. Wenn seine Frau noch bei ihm gewesen wäre, hätte sie ihn sicher gefragt, ob er einen anstrengenden Tag gehabt hätte und ob er sehr müde sei.
    »Nicht besonders«, hätte er wahrscheinlich geantwortet. »Es dauert nur seine Zeit, aber es geht alles nach Plan.«
    »Das ist gut, mein Liebling«, hätte sie darauf antworten können. Wäre vielleicht zu ihm gekommen und hätte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. »Das ist gut...«
    Er nickte und führte die Tasse zum Mund.

2
    Der Strand war unendlich.
    Unendlich und unveränderlich. Ein graues, stilles Meer unter einem blassen Himmel. Ein Streifen feuchter, fester Sand am Wasser, auf dem er gemächlich entlangschlendern konnte. Ein trockenes, grauweißes Band reichte bis zu dem kleinen Hügel mit Strandgräsern und windgepeitschten Büschen. Über den Salzwiesen im Landesinneren zogen Vögel weite Kreise und erfüllten die Luft mit ihren düsteren Schreien.
    Van Veeteren schaute auf die Uhr und blieb stehen. Er zögerte einen Augenblick. In der diesigen Ferne konnte er zwar den Kirchturm von s’Greijvin erkennen, aber die Entfernung war groß. Wenn er weiterginge, würde es sicher eine Stunde dauern, bis er sich im dortigen Café am Markt mit einem Bier niederlassen könnte.
    Vielleicht wäre es ja die Mühe wert, aber jetzt, wo er erst einmal angehalten hatte, war es nicht so einfach, sich wieder auf Trab zu bringen. Es war drei Uhr. Er war nach dem Mittagessen aufgebrochen, oder wenn man es genau nahm, war es eher das Frühstück gewesen. Jedenfalls so gegen ein Uhr, nach einer weiteren Nacht, in der er früh zu Bett gegangen war, aber
der Schlaf sich erst in
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