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Das verplante Paradies

Das verplante Paradies

Titel: Das verplante Paradies
Autoren: Peter Tate
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die majestätischen Gischtberge und die erregenden Fluten. Die Urlauber waren gekommen, aber unter ihnen gab es Leute, die das Verschwinden der ungebrochenen Meereskräfte bedauerten.
    Die Budniks hatten ihre eigene Bar in den Außenbezirken von Playa 9. Sie trugen die Standardkleidung der Rebellen, die eigentlich gar keine Bekleidung war. Jedenfalls keine im Sinne der Modejournale.
    In grauer Vorzeit hatten ihre Kleider auch Farben gehabt. Als sie zum ersten Mal den Besitzer gewechselt hatten – in den Altwarenläden in „Hashbury“, San Francisco – waren sie teilweise bunt wie Regenbogen, teilweise krappfarben. Aber durch das viele Waschen und Tragen hatte sich eine herbstliche Blässe zwischen den Fasern eingenistet. In den letzten acht oder neun Jahren war der blasse Schimmer immer heller gewor den, proportional zum Verblassen der gesamten Flower-Power-Bewegung.
    Ursache für das Scheitern war die Tatsache, daß al les in Ordnung ging. Die beharrliche Toleranz der Herrschenden hatte den Spaß an der Rebellion verdorben. Seit ihrer Legalisierung besaßen auch die Halluzinogene nicht länger den Reiz der verbotenen Frucht. Aus flippen war noch langweiliger geworden als weiterzu machen.
    Die Hippies seien tugendhaft, wurde behauptet. Al so wollten alle mitmachen. Die Rauschgifthöhlen waren plötzlich dermaßen überfüllt und laut, daß niemand mehr zu sich selber kam. Vielleicht hätte etwas Wettbewerb der Spontaneität der Bewegung noch einmal aufhelfen können, aber der Ausverkauf des „Nimm-mich-mit“ machte es zum stinkenden Kadaver.
    Die Blumenkinder hatten es satt, dem inneren Strom zu folgen, oder sie wurden einfach krank – Schiffbrüchige auf chromosomatischen Riffs, die sich plötzlich wie Vulkane aus den Marihuanafluten erhoben.
    Natürlich gab es ein Begräbnis. Und die Trauerge meinde erklärte aller Welt, man möge sie als „Free bies“ bezeichnen. Aber unglücklicherweise bezeichnete niemand sie überhaupt irgendwie.
    Einige Zeit lang mußte die organisierte Welt ohne eine nicht-organisierte Subkultur auskommen. Aber immer wieder gab es junge Leute, die Einsiedler werden wollten – nur um herauszufinden, daß sie eigentlich noch jemand anderes suchten, der auch Einsiedler werden wollte, damit sie darüber reden könnten oder Gedichte machen oder malen.
    Die Budniks entstanden. Mit ihrem Namen gaben sie zu erkennen, daß sie sich ihrer unrasierten Vorfahren nur allzu bewußt waren. Sie suchten ein Image. Einige wußten noch, wie es gewesen war. Sie waren gegenüber den anderen im Vorteil.
    In gewisser Weise war es ein Fortschritt. Die Beatniks hatten die Welt in Ordnung bringen wollen, nach ihren Vorstellungen freilich. Die Hippies hatten nur den Frieden mit sich selbst gesucht und die Welt zur Hölle gewünscht, weil sie sowieso hinüber war. Die Budniks liefen frei herum.
    Sie gingen überall dahin, wo sie auch nur die Spur einer Aufgabe witterten. In Playa 9 war die Aufgabe freilich hinter sehr viel Vergnügen verborgen. Aber immer, wenn sie aufs Meer hinaussahen, wußten sie Bescheid.
    Und außerdem gab es Gogan. Gogan, dessen Hände beständig über die gedrehte Schale einer Muschel glitten, in der ein Echo der Vergangenheit widerhallte. Gogan, dessen Gedichte irgendwie ihre Gedanken spiegelte und in ihre Seelen schrieb.
    Heute freilich schwieg der bärtige Gogan, seine Augen waren auf das Autoshelf gerichtet.
    Er sah den Hovercraft vorbeigleiten und bemerkte, daß das Mädchen seinen Arm um einen Mann gelegt hatte, den er weniger erkannte als zu kennen schien.
    Er begehrte sie augenblicklich. Nicht physisch, aber weil es seinem Ego schmeicheln würde, sie zu besitzen. Weil der Mann ihm ähnelte, vielleicht sogar in dem, was er bei Frauen suchte. Er wollte weniger das Mädchen gewinnen als den Mann berauben.
    Er beobachtete das Fahrzeug bis es hinter einer Kurve verschwand. Erst als es außer Sicht war, kam ihm der Gedanke, daß es einfach weiterfahren könnte.
    Dann blickte er wieder aufs Meer hinaus, und die Worte strömten.
    „Ich bin im Wirbel der See“, sagte er.
    „Ruhe“, rief Vangoj, sein literarischer Adjutant. „Seid still. Gogan spricht in der Sprache der Sprachen.“
    Gogan erhob sich von seinem fleckigen Stuhl und setzte sich halb auf die Brüstung des Balkons.
    „Mensch, Leute, bin ich morbid, Leute“, sagte er.
     
    „Am Salz erstickt
    Eine bunte Bühne für Fische
    Eine blinde Gestalt
    Im fauligen Speigatt …“
     
    „Das ist unheimlich“, rief Vangoj in
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