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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings
Autoren: Stefan Bauer
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wirft ein weniger gutes Licht auf seinen Charakter. Es gab sogar ein Lied über seine angebliche Heldentat, Prinz Guy und der goldgierige Riese, das recht populär war. Je öfter Guy es hörte – und er ließ es seinen Barden oft anstimmen –, desto besser gefiel er sich in der Rolle des Helden. Es fehlte nicht viel, und er hätte selber daran geglaubt, ein Riesentöter zu sein.
    Dass er als Nachfolger König Feodors über Feodonien herrschen würde, stand für Guy außer Frage.
    Rein äußerlich gefiel ihm Jolanda weit besser als Melinda, aber da nun mal Melinda das Reich erben würde und nicht Jolanda, hatte er sich entschlossen, über Melindas Größe und ihre Sommersprossen hinwegzusehen. Er wusste, dass seine Chancen, König Feodors Nachfolger zu werden, ganz hervorragend standen, und er war sicher, dass Melinda sich durch seine Wahl geschmeichelt fühlen würde.
    »Ich wähle weiß«, wollte er sagen, aber Prinz Adalbert fiel ihm ins Wort.
    »Weiß!«, rief er. »Ich nehme weiß!«
    »Na wunderbar«, hörte Melinda ihren kleinen König dem Springer zuflüstern. »Da können wir ja gleich die weiße Fahne hissen. Ich kenne Adalbert, er spielt so gut Schach, wie eine Kuh fliegen kann.«
    Der weiße Springer kicherte respektlos und wackelte dabei mit den Pferdeohren, die auf seine Kostümkapuze genäht waren.
    Melinda hätte schwören können, dass Prinz Adalbert nur deshalb weiß gewählt hatte, weil er nicht wollte, dass seine Mutter von jemand anderem als ihm angefasst und über das Feld geführt wurde.
    Guy von Gilesbury, der sich mit Schwarz zufrieden geben musste, schlug gleich im dritten Zug einen weißen Bauern und brachte seine Figuren in Angriffsposition. Adalbert hingegen bemühte sich, seine Figuren um den dicken weißen Turm mit Haube zu arrangieren.
    »Ich glaube, ich kenne eine Kuh, die besser fliegt, als Adalbert Schach spielt«, sagte der Springer leise zu dem weißen König. Melinda hörte es und lächelte. Der Springer gefiel ihr. Er war ein hoch gewachsener junger Mann mit dunklen Locken, der ziemlich schlicht gekleidet gewesen war (bevor er den Springermantel umgelegt hatte) und den sie daher für einen mitgereisten Hofherren aus dem Tross eines der Könige gehalten hatte. Da der Vergnügungsmeister aber nur Gäste mit königlichem Blut für die Spiele vorgesehen hatte, musste er einer der Freier sein.
    Guy von Gilesbury war am Zug und schlug den weißen Läufer, den Adalbert schützend vor seine Mutter gestellt hatte, mit seiner Dame. Jolanda schubste den weißen Läufer vom Feld.
    »Beim nächsten Zug seid Ihr draußen«, sagte sie dann zu Adalberts Mutter und lächelte Guy von Gilesbury bewundernd an. »Ihr dürft nämlich nicht schräg gehen. Und wenn Ihr zur Seite geht, schnappen wir uns Eure Dame.«
    »Das kann doch nicht angehen«, rief Adalbert aufgebracht. Er machte Anstalten, seine Mutter ein Feld weiter zu schieben, aber der weiße Springer kam ihm zuvor. Er stellte sich so, dass er Melindas Feld deckte und gleichzeitig einen schwarzen Läufer angriff.
    »Wenn sie den Turm schlagen, nehmen wir wenigstens ihren Läufer. Und unsere Dame ist geschützt«, sagte er zu Adalbert und machte eine kleine Verbeugung vor Melinda. »Jeremy von Berryfield, zu Euren Diensten.«
    »Sehr erfreut«, sagte Melinda und wurde ein bisschen rot. Sie hatte natürlich alles von Berryfield gehört. Es war seit jenem Würfelspiel ein Königreich ohne Land, nur eine kleine Burg und ein paar Felder drumherum. Beerenfelder, vermutlich. Jeremys Vater hatte sich niemals verziehen, was er getan hatte, und man erzählte sich, dass er danach erst recht zu trinken angefangen habe und bis zu seinem Tod nicht mehr nüchtern geworden wäre. Mit den Jahren hatte er auch die übrig gebliebene Hälfte seines Reichschatzes versoffen, verspielt und verplempert, und als nichts mehr übrig gewesen war, hatte er sich hingelegt und war gestorben. Er hatte Jeremy nichts als ein paar armselige Felder, die baufällige Burg und eine Hand voll hungriger Leute hinterlassen. Jeremy Ohneland, wie ihn die meisten nannten, stand ganz weit unten auf König Feodors Liste, ja, Melinda bezweifelte, dass er überhaupt darauf stand. Schade, denn er war einer der wenigen, denen sie nicht auf den Scheitel schauen konnte. Selbst mit der wenig kleidsamen Pferdekapuze sah er gut aus, stattlich, mit schönen braunen Augen, die sie fröhlich anblinzelten.
    Melinda konnte nicht anders, sie musste zurückblinzeln.
    »Das geht aber doch nicht«, sagte
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