Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings
Autoren: Stefan Bauer
Vom Netzwerk:
aus hundert Meter Entfernung eine Scheune in Brand stecken konnte und dies auch des Öfteren getan hatte. Laut Vereinbarung übergab König Feodor ihm jedes Jahr zum ersten Juni mehrere Säcke voll kostbarem Gold- und Edelsteinschmuck. Die Übergabe verlief immer nach dem gleichen Muster. Zwei Ritter, denen diese Aufgabe per Los zugewiesen wurde, machten sich samt Packeseln bis zum Eingang von Brunophylax’ Sommerhöhle auf. Sie luden den Schatz auf dem sandigen Vorplatz ab und warteten im Schutze einiger Felsen, bis der Drache hervorkam, den Schatz in Empfang nahm, prüfte und damit in der Höhle verschwand. In jedem Jahr berichteten die Männer, wie furchteinflößend groß und gefährlich das Untier aussähe und wie giftig seine Augen in Richtung ihres Versteckes funkelten.
    »In Ordnung«, pflegte er zu knurren und dabei eine kleine Feuergarbe auf den Platz zu spucken, die einen beeindruckenden Kreis aus geschmolzenem Sand hinterließ. »Ihr könnt eurem König sagen, dass ich mich eine Zeit lang von seinen Feldern und Leuten fern halten werde.« Seinen Schweif hinter sich herschleifend, schlürfte er in die Höhle zurück, und die Männer sprangen erleichtert auf ihre Pferde und machten, dass sie wegkamen.
    Im vierundzwanzigsten Jahr von König Feodors Herrschaft jedoch trat eine kleine Änderung dieser Routine ein, die das Misstrauen des Königs geweckt hätte, wäre er nicht so mit anderen Problemen beschäftigt gewesen. Im vierundzwanzigsten Jahr seiner Herrschaft nämlich kehrten die Ritter von der Übergabe zurück und berichteten, Bruno Brandstifter habe die Säcke geöffnet und geknurrt: »Gold, Silber, Rubine, Smaragde – jedes Jahr dasselbe.« Daraufhin habe er mit seinen gelben Augen auf den Felsen gestarrt, hinter denen sich die Ritter versteckt hielten, und griesgrämig hinzugefügt: »Zwei mickrige Vasallen, zwei Pferde und vier klapprige Packesel – deswegen lohnt es sich ja kaum, die Zähne schmutzig zu machen!«
    Eine kleine Weile habe der Drache dort gestanden und gestarrt, den Kopf leicht schief gelegt, als würde er über etwas nachdenken. (Eine kleine Weile, die den Rittern aber ziemlich lange vorkam!) Schließlich, sagten sie, sei er in seiner Höhle verschwunden, ohne seine obligatorische Feuergarbe zu speien oder wenigstens zu versichern, dass er des Königs Felder und Leute in Frieden lassen würde.
    Wie gesagt, dieser Bericht hätte den König vorsichtig stimmen müssen, aber er war einfach zu sehr mit dem Problem beschäftigt, seine beiden Töchter Jolanda und Melinda zu verheiraten. Im Interesse des Königreiches musste er die Ehemänner der beiden besonders klug auswählen. Melinda, die ältere, würde das Reich erben, ihr Ehemann also der nächste König werden, und bei der Auswahl konnte Feodor gar nicht klug genug vorgehen. Die künftigen Schwiegersöhne sollten nicht nur über die üblichen charakterlichen Vorzüge verfügen, sondern auch Land, Leute und reichlich Bodenschätze mit in die Ehe bringen. Überdies hatte Feodor seinen Töchtern ein gewisses Mitspracherecht zugesagt und ihnen das Versprechen gegeben, sie nur mit einem Mann zu verheiraten, der ihnen auch gefiele.
    Nun war das Brautwerben in jenen Zeiten ein ziemlich zeitaufwändiges Verfahren, wenn man so leichtsinnig war, der Braut ein Mitspracherecht einzuräumen. Bis die Prinzessinnen alle in Frage kommenden Freier kennen gelernt und begutachtet hätten, wäre eine Menge Zeit vergangen, zu viel Zeit, wie der König fand, vor allem, wenn man bedachte, dass Melinda sich schon seit einigen Jahren im so genannten heiratsfähigen Alter‹ befand. Um die Angelegenheit so schnell und übersichtlich wie möglich zu einem glücklichen Ende zu bringen, war König Feodor auf die großartige Idee verfallen, alle Kandidaten auf einmal nach Feodonien zu bitten. Im Rahmen eines mehrere Tage währenden Festes mit Tanzveranstaltungen, einer Jagd, gutem Essen und vielerlei anderer Vergnügungen gedachte er, die passenden Herren ausfindig zu machen und seine Töchter noch im selben Jahr zum Altar zu führen.
    Schon seit Monaten wurden die Festivitäten vorbereitet, nachdem – keineswegs überraschend – alle geladenen Prinzen, Könige und Herzöge die Einladung dankend angenommen hatten. Melinda war eine hervorragende Partie, da machte es gar nichts, dass sie nicht eben den Ruf hatte, besonders schön zu sein. Und Jolanda würde zwar kein Königreich erben, hatte aber eine ordentliche Mitgift vorzuweisen und war – anders als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher