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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings
Autoren: Stefan Bauer
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keine geborenen Kämpfernaturen sind. Sie töten aus Verdruss, um an Reichtümer zu gelangen, und natürlich, um ihr Leben zu verteidigen, wenn sie angegriffen werden. Niemals aber würden sie sich freiwillig auf einen Kampf einlassen, bei dem sie wenig Aussicht auf einen Sieg hätten. Sie riskieren ungern Verletzungen, der Verlust von Blut macht sie wehleidig, und so braucht es niemanden zu wundern, dass die Drachen einer Konfrontation mit jenen todesmutigen Rittern und ihren Schwertern, wenn es eben möglich war, aus dem Weg gingen. Man kann verstehen, dass schon der Anblick eines Drachentöters, behängt mit allerlei geschmacklosen Trophäen – Kettenhemden aus Drachenzähnen, Gürtel aus Schwanzschuppen und Proviantbeutel aus getrockneter und gegerbter Drachenzunge – ausreichte, um einen Drachen zur Flucht zu bewegen. Oder sagen wir, zu einem würdevollen Rückzug. Außerdem trugen Gerüchte über spezielle Drachentöterschwerter, die mit Zauberkraft geschmiedet waren und in der Hand eines aufrechten Mannes sozusagen von allein den Weg ins Drachenauge fanden, nicht wenig zu dieser eher defensiven Haltung der Drachen bei.
    Nach einigen Jahrhunderten hatten sich die Drachen daher mehr und mehr in die unbewohnten Berge zurückgezogen, während die Menschen die fruchtbaren Täler bevölkerten, und aufgrund der Distanz (ein Drache hätte von seiner Höhle wohl einen Tag und mehr – bei Gegenwind – bis zu einer Menschenansiedlung fliegen müssen, und ein Mensch hätte mit einem Pferd sogar ein bis zwei Wochen benötigt, bis er einen Blick auf einen Drachenschwanz hätte erhaschen können) gab es kaum noch Begegnungen zwischen Drache und Mensch. Die Drachenkämpfer starben aus, die Schätze in den Drachenhöhlen setzten Moos an, und die Zauberschwerter gerieten in Vergessenheit.
    Hinzu kommt, dass nur alle Jubeljahre ein Drachenbaby aus dem Ei schlüpft, während die Menschen dazu neigen, sich bedeutend schneller zu vermehren – natürlich auch, weil nicht mehr so viele von ihnen den herumvagabundierenden Drachen zum Opfer fielen. Der Platz in den fruchtbaren Ebenen reichte ihnen nach ein paar Jahrhunderten kaum noch aus. Sie begannen, auch weniger fruchtbare Gebiete zu besiedeln, Sümpfe trocken zu legen und Straßen in unzugängliche Gegenden zu bauen. So kamen sie den Bergen, in denen die Drachen hausten, immer näher, aus kleinen Dörfern wurden große Dörfer, aus großen Dörfern wurden kleine Städte, und aus kleinen Städten wurden große Städte. Alle naslang baute jemand eine Burg, erklärte das die Burg umgebende Land zu seinem Königreich und die dort lebenden Menschen zu seinen Untertanen. (Es gab damals mehr Königreiche als Schulen für Kinder oder Mirabellenbäume oder schwarze Schafe.)
    Als eines Tages sogar am Fuße der Drachenberge eine Burg errichtet wurde, konnten die Drachen die Menschen nicht mehr länger ignorieren. Sie kamen wieder aus ihren Höhlen hervor, drehten flügelschlagend ihre Runden und sahen nicht ohne Schrecken, wie zahlreich ihre alten Feinde inzwischen geworden waren. Nun waren die Drachen zwar nicht zahlreicher, aber älter und weiser und aus vergangenen Zeiten klug geworden. Sie hatten gelernt, dass mit den Menschen nicht zu spaßen war, und obwohl ihnen schon viele Jahre kein Drachentöter mehr untergekommen war – geschmückt mit Zähnen und Zunge eines Artgenossen –, gingen sie kein Risiko ein, sondern erklärten sich mit Verhandlungen einverstanden. Die Könige, die sich beim Anblick der geflügelten Feuerspeier an all die alten, gruseligen Gutenachtgeschichten erinnerten, die man ihnen als Kinder erzählt hatte, waren ihrerseits heilfroh, dass die Drachen mit sich reden ließen. Man einigte sich darauf, den Drachen jährlich einen Tribut von Gold, Silber und Edelsteinen zu entrichten und im Gegenzug von Raubzügen und Feuerattacken verschont zu bleiben. Diese Vereinbarungen funktionierten in der Regel ganz gut, und wenn hier und da mal ein Drache über die Stränge schlug, etwa einen Heuschober in Brand setzte oder einen einsamen Wanderer verspeiste, dann sparte der betroffene König im nächsten Jahr einfach einen Sack Silber ein, und beide Seiten waren zufrieden.
    Auch zum Königreich von König Feodor gehörte ein Drache. Er hieß Brunophylax, war groß wie eine Reisekutsche (ohne Schweif) und über und über mit Schuppen bedeckt, die in allen möglichen Grüntönen schimmerten. Aus längst vergangenen Zeiten trug er den Spitznamen Bruno Brandstifter, weil er
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