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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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die beiden einander liebten oder respektierten. Dass es zwischen zwei Männern auf Erden echte Zuneigung gibt, ist ohnehin nur ein Mythos, den Männer in die Welt gesetzt haben. Doch Sai und Unni sind besonders unmögliche Freunde. Sie müssen einander benutzt haben.
    «Hier bin ich», sagt Ousep. Sai hat den Kopf bereits weggedreht, deshalb reckt er den Hals und sieht in die Ferne, um deutlich zu machen, dass er nicht reden will. «Hoffentlich hast dudeine Meinung geändert, Sai. Ich hoffe sehr, dass du mir diesmal mehr sagen kannst.»
    So geht das jeden Morgen. Ousep redet, Sai sagt kein Wort. «Sai, es ist mir sehr unangenehm, ich stör dich wirklich nicht gerne, aber mir bleibt keine andere Wahl. Ich weiß, dass du mir etwas verschweigst.»
    Sai keucht heftig, er scharrt mit den Füßen und hält theatralisch die Hand über die Augenbrauen, um die Nummer des heranfahrenden Busses besser erraten zu können. Doch offenbar ist es nicht der richtige Bus, und er zieht eine Grimasse, die seiner tiefen Bestürzung dramatisch Ausdruck verleiht. Die Stadt ist voll von schrecklichen Schauspielern. Historiker, die über Madras schreiben, erwähnen nie, dass sich dort überall Schmierenkomödianten tummeln. Der Bus ist gerammelt voll und spuckt eine Schar winziger, halb verhungerter junger Männer aus, die es ohne die vielen kostenlosen Impfungen nie so weit im Leben gebracht hätten. Dutzende, manche in Hosen, viele in Lungis, baumeln immer noch an den Türen und Fenstern. Zwei Bullen in Zivil, die auf der Straße gewartet haben, holen die Stöcke hervor, die unter ihren Hemden versteckt sind, und dreschen damit auf die Beine der Herabbaumelnden, die sich daraufhin schreiend und lachend in den Bus zu drängen versuchen.
    Der Tumult legt sich, und es wird kurz ruhiger – bis auf die vorbeibrausenden Autos und ihr Hupen. «Gestern ist mir etwas zu Ohren gekommen», sagt Ousep. «Du, Unni und Somen Pillai habt eine Nonne besucht, die ein lebenslängliches Schweigegelübde abgelegt hat. Das hast du mir nie erzählt. Verstehst du, genau das habe ich gemeint. Es gibt Dinge, die du mir verschweigst. Warum denn, Sai? Warum hast du mir das nie erzählt?» Wie erwartet, sagt Sai keinen Ton und reckt wieder den Hals. «Warum besuchen drei Jungen eine Nonne, die nichtspricht?», fragt Ousep. «Sag was. Rede mit mir! Ich treffe sie morgen. Was soll ich sie fragen?»
    Sais stoisches Schweigen ist eine clevere Taktik. Es frustriert Ousep, und er kommt sich dumm vor. Oder bildet sich Ousep das ein? Vielleicht ist es gar keine Taktik, vielleicht hat ihm der Junge wirklich alles gesagt, was er wichtig fand.
    «Okay, du brauchst nichts zu sagen, Sai. Erzähl mir nur, wo ich Somen Pillai finde. Bring mich zu ihm – mehr will ich gar nicht von dir.»
    Sai wirkt, als sei ihm ein großer Stein vom Herzen gefallen. Sein Bus ist endlich da. Er blickt Ousep lieblos an und wiederholt, was er zu Anfang gesagt hat: «Warum nehmen Sie die Nachforschungen wieder auf? Was ist passiert?»
    «Gar nichts ist passiert.»
    «Es heißt, Sie haben etwas gefunden. Und deshalb verfolgen Sie Unnis Klassenkameraden wieder.»
    «Das ist völliger Unsinn.»
    «Ich habe aber gehört, dass Sie alle zu treffen versuchen.»
    «Ja, das stimmt.»
    «Wieso tun Sie das plötzlich? Wieso ausgerechnet jetzt, nach drei Jahren? Wieso bloß?»
    Wieso ausgerechnet jetzt? Wieso bloß? Diese Frage bekommt Ousep täglich zu hören.
    «Geben Sie es auf», sagt Sai. «Kümmern Sie sich um Ihr eigenes Leben. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»
    Sai kämpft sich durch die Schichten feuchter Leiber auf dem Trittbrett und gelangt in den Bus. Sicherheitshalber wird er sich zwischen die Männer quetschen, dauernd nachprüfen, ob seine Brieftasche noch da ist, und peinlich genau darauf achten, dass er keine Frau streift, und zwar, weil er genau die Sorte harmloser Spinner ist, auf den die Frauen im Bus warten, um ihn zu schlagen und zu knuffen und mit den Spitzen ihrer geblümten Schirmezu stechen, als Rache für die unzähligen Male, die sie berührt und gestoßen oder von Collegestudenten belästigt wurden, die wie Überfallkommandos in die überfüllten Busse dringen, einzig, um an den Gummis ihrer Unterwäsche zu ziehen und sie wie Spielschleudern zurückschnappen zu lassen.
    Einer von Unnis Comics, der keinen Titel hat, handelt von einem solchen Kommando und zeigt, wie diese Kommandos verfahren und was für einen Spaß ihnen das Ganze macht. Der Comic schließt mit der nahen Zukunft der
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