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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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nach dem Sinn des Lebens gespottet.
    Im Comic mit dem Titel ‹Die absolute Wahrheit› schwebt ein weißer Briefumschlag durch die Tiefen des Alls, umkreist fremde Welten und steuert schließlich in Richtung Erde. Beim Eintritt in die Erdatmosphäre geht er in Flammen auf, und ein weiterer weißer Umschlag erscheint, auf dem ‹Die absolute Wahrheit› steht. Er schwebt zur Erde und landet auf einem endlosen Feld. Ein Bauer mit nacktem Oberkörper hebt ihn auf, öffnet ihn und nimmt ein Blatt Papier heraus, liest es und bekommt einen Lachanfall. Er zeigt das Blatt seiner Frau, die ebenfalls anfängt zu lachen. Sie zeigt es dem Kind, das sie auf dem Arm hält, und auch das Kind erstickt fast vor Lachen. Der Bauer gibt die Absolute Wahrheit an seinen Nachbarn weiter, der sich den Bauch hält und sich lachend in seinen Kohlfeldern wälzt. Der Brief geht von Hand zu Hand, von Haus zu Haus, Dorf zu Dorf, Stadt zu Stadt, und überall auf der Welt brechen die Leute über die lang erwartete Absolute Wahrheit in hysterisches Gelächter aus.
    Im Comic ‹Erleuchtung› sitzt ein Weiser in wallendem Gewand meditierend auf einem Schneegipfel. Die Jahreszeiten kommen und gehen, Stürme ziehen vorüber, doch nichts kann ihm etwas anhaben. Er bekommt eine starke Erektion, die nach und nach abklingt, ohne dass der Mann sich davon stören lässt. Er nimmt keinerlei Notiz von dem, was ihm widerfährt oder ringsum passiert. Bergsteiger mit den Flaggen ihrer Länder erklimmen den Gipfel und machen enttäuscht kehrt, als sie den Weisen dort antreffen. Der Weise wird immer älter, sein Bart wird weiß, und schließlich beginnt er zu strahlen und bekommt einen Heiligenschein. Er hat den Zustand der Erleuchtung erreicht. Er macht die Augen auf und wirkt völlig betäubt. Dann schreit er: «Mist, ich bin nur ein Cartoon.»
    In Unnis Comics gibt es kaum Dialoge und nur wenig Text, was ihnen etwas Beunruhigendes, Abstraktes verleiht. Das gilt vor allem für eine seiner ehrgeizigsten Geschichten, ‹Beatles, Crossing– Beatles und Käfer bei der Überquerung der Straße›. Die Geschichte ist einundzwanzig Seiten lang und beginnt mit einem roten Käfer, der am Rand einer breiten, schwarzen Straße sitzt. «Ich will auf die andere Seite», sagt der Käfer und macht sich auf den Weg. Dann wird zu den Beatles übergeblendet, die vor berühmten Wahrzeichen auf verschiedenen Erdteilen Konzerte geben. Jedes Mal gerät das Publikum aus dem Häuschen. Und dann heißt es irgendwann: «Warum ist Ringo Starr nicht so berühmt wie die anderen Beatles?» Unterhalb dieser Frage sieht man die vier Beatles während eines Konzerts. Und ganz unten auf der Seite steht die Antwort: «Weil er immer saß.» Ob das stimmt? Im Lauf der Geschichte werden die Beatles immer trauriger und unzufriedener. Sie gehen nach Indien und begegnen heiligen Männern, die Yogaübungen machen. Die Beatles fangen an zu meditieren, tragen indische Kleidung, zeigen sich in ungewöhnlichen Yogaverrenkungen, spielen klassische indische Instrumente und kacken am Flussufer. Doch dann werden sie wieder traurig und wissen nicht mehr weiter. Sie gehen zurück nach England, zu ihrem früheren Leben. Und eines Tages überqueren sie eine Straße, sie gehen über einen Zebrastreifen. Währenddessen ist der rote Käfer mühsam über dieselbe Straße gekrabbelt und dem sicheren Tod durch vorbeirasende Wagen entronnen. Im letzten Comicfenster sieht man den roten Käfer triumphieren. Er hat die Straße überquert und ist auf den Gehsteig gegenüber gelangt, der erstaunlicherweise völlig identisch mit dem Gehsteig ist, auf dem er seine schwierige Reise begonnen hat. Er sagt: «Ich bin auf die andere Seite gegangen.»
    Ousep legt den Comic beiseite, weil er sich an etwas Unangenehmes erinnert. Es hat gewisse Ähnlichkeit mit der trivialen Lebensangst eines Pflanzenfressers, auch wenn er nicht genau weiß, wie er daraufkommt. Dann wird ihm klar: Auslöser für die Assoziationsind drei Teenager, die vor einem Tor aufgetaucht sind und jetzt auf ihn zukommen. Der eine hat drei gerade Linien heiliger Asche auf der Stirn, als sei ein Fahrrad über ihn gefahren. Alle drei tragen Schuluniform – weiße Hemden, die ihnen aus den Khakihosen rutschen. Ihr Gang ist nicht aufrecht, sie sind ohne Schwung, ohne Freude. Sie starren ihn bedeutungsvoll an, und er erwidert ihren Blick ohne Verachtung.
    Jugendliche als rebellisch zu bezeichnen, ist das Dümmste, was man tun kann. In Wirklichkeit sind sie allesamt
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