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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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er bei Somen ist, kommt ihm diese Idee. Außer den beiden ist niemand im Haus. Somens Eltern sind zu ihren Verwandten nach Pondicherry gefahren. «Da kommt Sakhi überraschenderweise zurück, weil sie gemerkt hat, dass sie einen Ohrring verloren hat. Wissen Sie, wer Sakhi ist?»
    «Nein.»
    «Sakhi ist unser Dienstmädchen. Sie haben Sie gesehen. Sie ist echt scharf.»
    Während sie in der Diele nach ihrem Ohrring sucht, starrt Unni sie an. Er spürt ein starkes Verlangen und ist fasziniert, dass er so erregt ist und sich schwer beherrschen muss, um ihr nicht die Kleider vom Leib zu reißen. Somen sagt zu ihm: «Unni, sie ist tolerant.»
    Ein paar Monate zuvor hatte Somen die Beherrschung verloren und sie begrapscht, als sie im Hinterhof hockte und Wäsche wusch. Dieser Junge ist also doch keine richtige Leiche. Sie schrie und rannte weg, beschwerte sich aber nicht über ihn. Am nächsten Tag kam sie wieder, als sei nichts gewesen. Als sie sein Zimmer putzte, flüsterte sie dem Fußboden zu, wenn er ihr fünfzig Rupien gäbe, würde sie möglicherweise zulassen, dass er sie wieder an sich drückte. Er nahm das Angebot an. Danach ekelte er sich allerdings so vor sich selbst, dass er sie nicht weiterverfolgte.
    Als Unni das hört, hat er eine Idee. Er verhandelt mit ihr und macht mit ihr ab, dass sie sich für hundert Rupien genau dreißig Minuten lang in Somens Zimmer nackt neben ihn setzt. Er verspricht ihr, sie nicht anzurühren. Als er nach dreißig Minuten wieder auftaucht, hat er das Gefühl, niemals zuvor etwas so Schwieriges vollbracht zu haben. Eine schöne Frau neben sich zu haben, die vollkommen nackt ist, und seine Hände im Zaum zu halten. Er behauptet, diese Übung werde ihnen die Kraft geben, über die sexuelle Begierde zu triumphieren. Auch Somen führt das Experiment durch. Sie versucht, ihn zu überreden, dass er ihr fünfhundert Rupien bezahlt und dann mit ihr machen kann, was er will. Doch diesem Angebot habe er sich, so behauptet er, erfolgreich widersetzt.
    An jenem Tag geht Unni früh weg, weil er etwas zu erledigen hat. Für seinen Haarschnitt leiht er sich von Somen dreißig Rupien.«Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Nicht einmal zwei Stunden nachdem er mein Haus verlassen hatte, war er tot. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, Ousep, das habe ich Ihnen ja bereits zu Anfang gesagt. Ich weiß nicht, was ihm widerfahren ist, nachdem er mein Haus verlassen hat.»
    Als Ousep seine Stimme wiederfindet, ist ihm, als sei es die Stimme von jemand anderem. Somen sagt: «Können Sie das noch einmal wiederholen, Ousep? Mir scheint, Sie haben Ihre Stimme verloren.»
    «Hast du eine Vermutung, was ihm widerfahren sein könnte, nachdem er dein Haus verlassen hat?»
    «Nein.»
    «Warum sperrst du dich in diesem Zimmer ein?»
    «Um die Kräfte des Syndikats zu verringern. Ich möchte den Wahn des Lebens weder sehen noch hören. Eines Tages werde ich meinem Leichenzustand entrinnen und sehen, was Unni gesehen hat – das wahre Wesen der Wirklichkeit.»
    «Somen, warum bist du so überzeugt, dass Unni nicht an einer starken Wahnvorstellung gelitten hat?»
    «Das führt uns, glaube ich, zwangsläufig zu einem religiösen Moment, Ousep.»
    «Woran glaubst du?»
    «Dass es die Wahrheit gibt und dass Unni sie gesehen hat. Das glaube ich.»
    Als Ousep dem Jungen zuvor erzählte, was er von Unnis Leben wusste, hatte er ihm nur eines verschwiegen: Unnis Verbindung mit Krishnamurty Iyengar. Auch Somen hatte den Arzt nicht erwähnt. Höchstwahrscheinlich wusste der Junge nichts über diese Seite von Unnis Leben. Es ist an der Zeit, den Asketen aufzurütteln. Ousep hat nichts zu verlieren. Er hat eine vage Vorstellung davon, wie diese Begegnung enden wird. Sie wird, wie Somen es formuliert hatte, mit einem religiösen Moment enden.
    «Hat Unni dir erzählt, dass er sich mit einem Neuropsychiater traf? Der Mann heißt Krishnamurthy Iyengar. Die Cartoonisten nennen ihn auch Psycho.»
    Somen sieht überrascht aus. «Nein», sagt er.
    «Warum hat er ihn deiner Meinung nach nicht erwähnt?»
    «Er hat mir nicht alles gesagt. Das war auch nicht nötig. Er hat mir nur gesagt, was ich wissen musste.»
    «Unni hat mit dem Arzt über dich geredet.»
    «Ach ja?»
    «Somen, dein Leiden hat einen Namen. Es heißt Cotard-Syndrom – Leichen-Syndrom. Es ist eine seltene Geistesstörung.»
    Somens Miene verzieht sich zu einem unglücklichen Lächeln. «Sie haben nicht das Geringste verstanden, Ousep. Ich glaube, Sie
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