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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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gestillt, und er macht sich erneut auf die Suche nach Leuten, die wie er sind, nach Leuten, die das Syndikat ausgewählt hat, um sie durch besondere Fähigkeiten und Behinderungen zu quälen, durch Augenblicke ekstatischen Glücks und tiefen, zerstörerischen Kummers.
    Er beschließt, auf seiner Suche weniger diskret vorzugehen. Eines Morgens kommt er ins Klassenzimmer und enthüllt ansatzweise, was er gesehen hat und was er weiß. Etwas an ihm und an seinen Worten berührt sie alle. Alle sind beunruhigt, manche haben sogar vorübergehend Angst, einer verbotenen Wahrheit zu nahe zu kommen, manche sind zutiefst bewegt, haben es sich jedoch im Syndikat zu bequem gemacht und können daher nicht richtig sehen, was Unni ihnen zu zeigen versuchte. Niemand kann ihn vollkommen verstehen. Bis auf einen: Somen Pillai.
    «In dem Augenblick, als er zur Klasse sprach, sah ich Unni Chacko wirklich an und sagte mir: ‹Ich glaube, ich weiß, wovon der Junge spricht.› Warum sage ich das, Ousep? Damit ich einsehe, dass Sie etwas über mich wissen müssen.
    Auch ich bin mit einem Leiden geboren. Obwohl ich als Kindein sehr glückliches Zuhause hatte, war ich immer unverhältnismäßig traurig. Ich hatte keinerlei Anlass dazu, war aber traurig. Die Welt um mich herum erschien mir düster und sinnlos. Nichts interessierte mich. Gar nichts. Ich war eine Leiche, in einem lebendigen Leib. Ich dachte oft daran, mich umzubringen, tat es aber nicht, weil ich wusste, wie Totsein war. Mein Leben lang bin ich tot gewesen. Welchen Sinn hatte es da, nur den Körper abzulegen? Das sagte ich mir jedes Mal, wenn ich mich umbringen wollte.
    Schweigend und sinnlos einsam lebte ich dahin und fragte mich, was all das Theater um mich herum sollte. Bis Unni eines Tages in die Klasse kam und sagte: ‹Um uns herum ist etwas im Gange, es gibt ein Geheimnis, das wir kennen müssen, alles, was wir wissen, ist falsch.› Zum ersten Mal im Leben empfand ich eine erregende Hoffnung. Ich dachte, wenn es eine andere Wirklichkeit gab, dann gehörte ich vielleicht dorthin, vielleicht war es das, was mit mir nicht stimmte, ich war am falschen Ort gefangen.
    Ich fing an, mit Unni zu reden. Zu Beginn verstand ich nicht viel von dem, was er sagte, aber wir haben stundenlang geredet. Er versuchte, mir etwas zu sagen, und ich gab mir große Mühe, ihn zu verstehen. Er interessierte sich sehr dafür, wie ich die Welt wahrnahm, und ich erzählte ihm Dinge, die ich noch keinem gesagt hatte. Ich erzählte ihm, ich sei eine Leiche, und ich erzählte ihm, wie eine Leiche die Welt sieht. Nach und nach verstand ich, was er mir zu sagen versuchte, und war fassungslos. Mir war klar, dass das Syndikat mich angegriffen hatte, bevor mein Gehirn das wahre Wesen der Wirklichkeit sehen konnte. Das Lebenssyndikat hatte Angst, ich könne die Wahrheit sehen.
    Mit Unni zusammen zu sein, war für mich Glückseligkeit. Zum ersten Mal im Leben spürte ich, wie aufregend es war, in diesem verwesenden Körper zu leben. Unni und ich suchten oft nachLeuten, die als abnormal gelten. Seine Suche nach jemandem, der wie er selbst war, war auch eine Suche nach jemandem wie mir. Sogar bei normalen Leuten waren wir neugierig auf ihre Marotten. Wir tragen alle Spuren der Schutzvorrichtungen des Syndikats in uns. Gott ist in uns allen.
    Sai Shankaran war witzig. Wir haben ihn benutzt, um zu verstehen, wie ein verwirrtes, angepasstes Gehirn eigentlich funktionierte. Die Leiche konnte endlich über die Lebenden lachen. Das war Unnis Geschenk an mich.»
    Doch Unni glaubt zunehmend, dass das Syndikat ihn besiegt, er spürt, dass seine körperlichen Triebe sehr stark sind. Er ist außergewöhnlich glücklich und will unbedingt leben. «Wie ein Drogensüchtiger unbedingt seine Droge braucht, so war Unni süchtig nach dem Leben.»
    Er beschließt, das Syndikat zu bekämpfen. Er glaubt, das Hochgefühl von Nahtoderfahrungen könne ihm die Fähigkeit verleihen, gegen die Urkräfte des Syndikats anzutreten. Somen kämpft mit ihm zusammen. Sie schwimmen in mächtigen Meeresströmungen und ertrinken beinah. Sie fahren mit Höchstgeschwindigkeit über verkehrsreiche Kreuzungen. Sie stellen sich auf Eisenbahngleise und sehen sich an, wie die Züge auf sie zurasen. Dann behauptet Unni, es gebe eine viel wirksamere Art, das Syndikat zu bekämpfen, eine Gandhi-Methode, die viel wirksamer sei als die Nahtoderfahrung: den Beinah-Sex, bei dem man ‹neben einer nackten Frau liegt, ohne sie zu vögeln›.
    Eines Morgens, als
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