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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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für seine Beichte ist. Für ihre Verhältnisse wirkt seine Mutter friedlich, sie ist jedoch eindeutig in Gedanken, und genau darauf hat er gewartet. Sie ist gerade aus dem Herz-Jesu-Familienladen zurückgekommen und füllt die eingekauften Vorrätein Gläser und Flaschen. Sie nimmt den Ein-Liter-Beutel Sonnenblumenöl und beißt den Verschluss ab. Thoma weiß, dass dies die beste Zeit für seine Beichte ist, weil sie sich beim Sonnenblumenölumgießen asketisch konzentriert. «Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name», sagt er. Sie dreht sich nicht um und hört ihm nicht zu. Thoma muss es jetzt sagen. «Zu uns komme Dein Reich, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden. Ich habe Mythili von Philipose erzählt, warum, weiß ich auch nicht. Hoffentlich war das nicht verkehrt von mir. Unser tägliches Brot gib uns heute; und erlass uns unsere Schulden …»
    Mariamma hört auf, das Öl umzugießen, legt den Beutel auf die Anrichte und starrt ihn an. «Was hast du gesagt, Thoma?»
    «Ich habe gebetet.»
    «Was hast du gesagt?»
    «Ich habe gesagt: Unser tägliches Brot gib uns heute und …»
    «Und davor?»
    «Ich muss etwas beichten», sagt er.
    «Und zwar?»
    «Ich habe Mythili von Philipose erzählt, was er dir angetan hat, und das über Unni und Philipose und den Comic und alles.»
    «Warum hast du das getan, Thoma?», fragt sie. Sie ist nicht böse, sondern traurig und gekränkt, was viel schlimmer ist.
    «Ich weiß auch nicht. Hab ich was Schlimmes getan?»
    «Du kannst das nicht einfach überall herumerzählen, Thoma.»
    «Ich weiß nicht, was mit mir los war», sagt er. «Sie hat mich gefragt: ‹Thoma, was hat dein Vater über Unni herausgefunden?›, und da hab ich ihr alles erzählt, was ich weiß – warum, weiß ich selber nicht. Mythili war sehr wütend. Sie liebt uns immer noch, deshalb war sie so wütend. Sie hasst Philipose. Sie hat gesagt, nicht Unni, sondern Philipose hätte sich umbringen sollen. Das hat sie gesagt. Sie liebt uns alle immer noch sehr, glaube ich.»
    Er hört auf zu reden, weil seine Mutter aussieht, als hätte sie einen Geist hinter ihm gesehen. Thoma dreht sich nervös um, um zu sehen, was sie so erschreckt hat, sieht aber nichts. Dann nimmt sie den Ölbeutel und gießt weiter Öl in die Flasche.
    «Was ist los?», fragt er, aber sie antwortet nicht.
    Sie stellt die Flasche ins Regal zurück und fängt an, in der Diele auf und ab zu gehen. Sie macht keine ungestümen Bewegungen, spricht nicht und droht nicht mit dem Finger. Sie ist ruhig, aber verwirrt. So hat er sie noch nie gesehen. Er sitzt am Esstisch und beobachtet sie fast eine Stunde lang. Er fragt sich, warum sie sich so benimmt und ob er vielleicht etwas Falsches gesagt hat.
    Viele Jahre später, wenn sie zusammen auf dem Friedhof vor Unnis Grab im Schatten der hohen Eukalyptusbäume stehen, wird Mariamma diesen Augenblick erklären. Sie wird dann eine dieser ruhigen, würdevollen, wohlhabenden Frauen im mittleren Alter sein, die aus ihren langen, silbernen Wagen steigen. «Wenn die eine Hälfte deines Lebens hart war», wird sie ein andermal zu Thoma sagen, «wird die zweite Hälfte aller Wahrscheinlichkeit nach gut werden. Wie Unni einmal zu mir gesagt hat: ‹In dieser Welt kann man dem Glück nicht entrinnen.›»
    ~
    «Sie müssen sich an das erinnern», sagt Somen, «was ich am Anfang gesagt habe, Ousep. Unni war die meiste Zeit normal. Und wenn er Herr seiner Sinne war, und das war er meistens, war er hoffnungslos in alle verliebt, die ihm etwas bedeuteten. Wie jeder. Sie konnten auf ihn einwirken, und er wollte, dass sie auf ihn einwirkten.»
    Mit siebzehn entlockt er seiner Mutter schließlich ihr Geheimnisund ist wutentbrannt über das Unrecht, für das er Philipose bestrafen will. Doch er sieht auch, dass die Sexualverbrechen von Männern eine mächtige Streitkraft des Syndikats sind. Körperlich sehnt er sich verzweifelt nach Frauen, x-beliebigen Frauen, und hat mitunter Angst, dass sein Begehren die Oberhand gewinnt. Das heißt jedoch nicht, dass er Philipose verzeiht. Er geht Philipose suchen, doch der ist tot und hat gut gelebt. Unni kocht tagelang vor Wut. Er entwickelt Aggressionen gegen alle Männer, sie ekeln ihn alle an. Eines Nachmittags trifft er Simion Clark im Labor an, der dort gerade einen Jungen massiert. «Eigentlich hat er ihn nicht bloß massiert», sagt Somen kichernd. Am nächsten Tag richtet er den Mann, was ihn etwas beruhigt. Seine Rachegelüste sind
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