Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
Vom Netzwerk:
Lebenssyndikat gehören. Ziel und Zweck des Syndikats ist es, sich selbst zu erhalten und für immer in den Köpfen seiner Organismen zu existieren. Deshalb hat es von Anfang an alle Nervensysteme ausgemerzt, die potenziell dazu befähigen, die Natur in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Dazu hat es das Verfahren der natürlichen Auslese verwendet, die Trial-and-Error-Methode, indem es die Arten belohnte, die verblendet waren, und diejenigen auslöschte, die erwacht waren. Ringsum können Sie sehen, was von diesem Verfahren noch übrig ist – Lebewesen, die aufs Überleben programmiert sind und sich vermehren, aber nicht besonders tief denken können, und dazu zählt fast die ganze Menschheit.»
    «Wessen Auffassung ist das?», fragt Ousep. «Hat Unni das gesagt, oder ist das deine Auffassung?»
    «Wir waren beide dieser Ansicht, wir hatten dieselbe Ansicht.»
    «Eine gemeinsame Weltanschauung?»
    «Ja», sagt Somen, «eine gemeinsame Weltanschauung.»
    «Aber wessen Idee war das? Wer kam auf den Ausdruck ‹Lebenssyndikat›? Du oder Unni?»
    «Wesentlicher ist, dass Sie das aus der Art geschlagene Gehirn verstehen.»
    «Das aus der Art geschlagene Gehirn?»
    «Im Lauf der Zeit hat das Lebenssyndikat alle Gehirntypen ausgerottet, die zu viel sehen können. Doch gelegentlich erschafft die Natur rein zufällig Menschengehirne, die mehr sehen können, als sie eigentlich sollen. Daher hat das Syndikat für ein paar Schutzvorrichtungen gesorgt – eine davon besteht darin, dass das Gehirn viel mehr wahrnehmen kann, als es anderen Gehirnen durch die Sprache und die bildenden Künste zu vermitteln imstande ist. Dadurch wird selbst ein aus der Art geschlagenes Gehirn, das zufällig die Wahrheit erfasst, nicht in der Lage sein, sie zu beschreiben. Es wird anfangen, sich auf eine Art und Weise zu verhalten, die als abnormal oder labil gilt.»
    «War das Unnis Ansicht?»
    Somen ignoriert die Frage, so, als hätte er Ousep nicht gehört, sieht ihm aber in die Augen, während er mit ihm spricht.
    «Das Syndikat reagiert auch auf das aus der Art geschlagene Gehirn, indem es ihm ein Leiden aufbürdet, das allgemein als Depression bekannt ist – mit der Absicht, alle Freudenillusionen auszuschalten und das Leben so stumpfsinnig und sinnlos erscheinen zu lassen, dass der Organismus sein eigenes Ende herbeiführt. Das Syndikat versucht noch auf viele andere Arten, die Rebellion potenzieller, aus der Art geschlagener Gehirne zu unterdrücken. In die meisten Gehirne, auch in die angepasstesten, hat das System den Wahn zahlreicher Philosophien gesät sowie den Wahn der Erleuchtung. Dahinter steckt die Idee, die Neugier des Gehirns zu befriedigen, indem ihm fälschlich das Gefühl verschafft wird, intellektuell auf der Suche zu sein. Durch Philosophie, Gott und die Vernunft stellt das Syndikat einwandfrei sicher, dass die Neugier fast jedes Nervensystems befriedigt wird.»
    «Wer bleibt dann noch übrig? Niemand außer Unni und Somen?»
    «Es gibt jedoch ein paar seltene, aus der Art geschlagene Gehirne,die sich nicht täuschen lassen», sagt Somen. «Und auf die reagiert das Syndikat durch noch stärkere Täuschungen. In solchen Gehirnen steigert das Syndikat alle Sinneswahrnehmungen und führt vor, dass das Leben außergewöhnlich freudvoll ist. Das widerfuhr Unni. Schon bald nach seinen Blackouts, nachdem er etwas hatte aufblitzen sehen, was er nicht erklären konnte, begann er, auch Augenblicke zu erleben, in denen er sich ungewöhnlich mächtig fühlte. In solchen Augenblicken war er vollkommen glücklich und sah die Welt in all ihrer bunten Schönheit. Selbst ein leiser Windhauch oder die Bewegung einer Ameise erschienen ihm als großes Erlebnis. Das Leben ließ ihn von Augenblick zu Augenblick spüren, was es zu bieten hatte. Auch seine Sexualität wurde übernatürlich stark. Er hat mir nicht viel von seinen sexuellen Begierden erzählt, nur, dass er die schmutzigsten Gedanken hegte, gefährliche Gedanken, die jedoch äußerst lustvoll waren.»
    Doch Unni weiß, was ihm widerfährt. Er hat die andere Seite gesehen und weiß, dass das Lebenssyndikat versucht, ihn zu täuschen. Er glaubt, dass es noch mehr Menschen wie ihn gibt, und fängt an, sie zu suchen. Er sucht unter den scheinbar Normalen und unter den Verrückten. Er sucht die, die unnatürlich glücklich sind, und die, die unerklärlich traurig sind. Aber er findet niemanden, der ist wie er.
    ~
    Thoma Chacko steht in der Küchentür und fragt sich, ob es der richtige Moment
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher