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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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einen bewegen, was verdient Bewunderung, wennnichts wahr ist? Doch Cartoons sind etwas anderes. In einer farcenhaften Welt ist die Farce die einzig wahre Kunst.»
    Mit vierzehn ist Unni von einem Gedanken besessen. Er fängt an zu glauben, dass das, was ihm widerfuhr, eine Störung des verborgenen Naturprozesses sei. Während der magischen Momente seiner Kindheit, in denen seine Sinneswahrnehmung gesteigert war, hatte er über das hinausgesehen, was ein Mensch sehen soll. Er glaubt, dass er entweder tief in die Vergangenheit der menschlichen Evolution oder weit in die Zukunft geblickt hat. Er weiß nicht, in was von beiden. In ihm sind Überbleibsel einer ausgestorbenen Spezies oder Vorzeichen dessen, was kommt. Er ist davon überzeugt, dass die Natur riesige Mengen Leben kreiert, um durch die Trial-and-Error-Methode, durch Auslöschung und Evolution von Milliarden von Fleischklumpen über weite Zeiträume, schließlich ihr Ziel zu erreichen – eine spezielle Art von Nervensystem.
    «Er glaubte, die Natur trachte danach, ein Mustergehirn zu entwickeln. Und dass dieses ultimative Gehirn Informationen empfängt, die Ziel und Zweck der Natur verwirklichen.»
    Doch zwei Jahre später, als Unni sechzehn ist, beginnt er, genau das Gegenteil zu glauben, nämlich, dass es vorrangiges Ziel der Natur und Zweck der gesamten, bisher gelungenen Evolution sei, eine bestimmte Art neurologischer Verfassung zu verhindern. So, als sei das System des Lebens eine unredliche Kraft, die nicht will, dass ein Organismus zu tiefe Einblicke erhält.
    «Ousep, Sie glauben jetzt, dass Ihr Sohn wahrscheinlich Wahnvorstellungen hatte, dass er sich eine Vorstellung zusammenbastelte, die die Welt sehr viel außergewöhnlicher erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit ist. Aber es ist wiederum eine Tatsache, dass man, wenn man die Welt klarer zu sehen beginnt, zuallererst genau den Vorstellungen widerspricht, die einem einmal lieb waren. So ist es doch, Ousep?»
    Als Unni sechzehn ist, erlebt er irgendwann wieder einen der Zustände, die seine Kindheit begleiteten, nur diesmal in stärkerer Form. Er hatte Blackouts. «Sie dauerten nur ein paar Sekunden, manchmal auch eine Minute, gemäß der Standardzeitmessung der materiellen Welt.»
    Während dieser kurzen Zeitspanne setzen alle seine Sinne aus, er sieht jedoch Blitze vor seinem inneren Auge. Laut Unni ist es eine außergewöhnliche Vision, die er jedoch nicht beschreiben kann. Er behauptet, was er gesehen hat, sei das wahre Wesen der Wirklichkeit.
    «Im Geiste, Ousep, versuchen Sie, sich vorzustellen, was Unni gesehen haben mag. Sie sehen eine Farbe. Sie stellen sich eine gigantische, schwarze Nacht vor oder einen spektakulären weißen Himmel, je nach Persönlichkeitstyp. Doch das sind die Mythen der Story-Erzähler. Unni sieht kein schwarzes Vakuum und keine riesige weiße Sonne. Ich habe nicht gesehen, was er gesehen hat. Ich gebe nur wieder, was er mir gesagt hat. Er hat mir nicht gesagt, was er sah, weil es über das hinausgeht, was sich sprachlich ausdrücken lässt. Er wusste nicht einmal, wie er es zeichnen sollte.
    Wie bequem, denken Sie jetzt. Ein Junge behauptet, etwas Übersinnliches gesehen zu haben, kann es aber nicht beschreiben. Aber ist das wirklich so schwer zu akzeptieren? Sie und ein Hund sehen einen Wagen vorbeifahren, Ousep. Stellen Sie sich einmal vor, der Hund müsse diesen Vorgang anderen Hunden beschreiben. Das kann er nicht. Der Hund hat etwas ganz Gewöhnliches gesehen, selbst für einen Hund ist es etwas ganz Einfaches, doch sein Nervensystem ist so konstruiert, dass er den Gedanken nicht vermitteln kann und in den ihm eigenen Kommunikationskanälen gefangen ist.
    Unni fühlt sich in der Dürftigkeit menschlicher Kommunikation gefangen, ‹er ist in der Sprache gefangen› und fragt sich, ob eseine Möglichkeit gibt, das, was er gesehen hat, anderen mitzuteilen. Ihnen zu vermitteln, dass die Wirklichkeit anders ist, als man sich gemeinhin vorstellt. Laut Unni ist die gesamte Natur ein ewiger Kampf zwischen zwei Mächten – der absoluten Wirklichkeit, die der wahre Zustand aller Materie ist, und dem ‹Lebenssyndikat›, das seine Organismen daran hindern will, die Wahrheit zu sehen.
    Wenn man nämlich die Wahrheit sieht, ist man permanent in einem ekstatischen Trancezustand, man vögelt nicht mehr, man hält das Leben nicht mehr in Gang, man will nicht mehr unbedingt in einem Kohlenstoffkörper leben. Wenn man die Wirklichkeit sieht, will man nicht mehr zum
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