Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Carl schnell, bestrebt, einen guten Eindruck zu machen.
    »Gehen Sie zurück zu sechsundfünfzig«, befahl Fitch, und Carl klickte rasch, bis das Gesicht von Nicholas Easter abermals auf der Leinwand erschien. Rings um den Tisch herum raschelten Papiere.
    »Was wissen Sie?« fragte Fitch.
    »Genausoviel wie vorher«, sagte Carl, den Blick abwendend. »Phantastisch. Wie viele von den hundertneunundsechzig sind immer noch unklar?«
    »Acht.«
    Fitch schnaubte und schüttelte langsam den Kopf, und alle warteten auf einen Ausbruch. Statt dessen strich er langsam über seinen sorgfältig gestutzten, schwarzgrauen Spitzbart, sah Carl an, ließ den Ernst des Augenblicks einsickern und sagte dann:
    »Sie werden bis Mitternacht arbeiten und morgen früh um sieben wieder hier sein. Auch am Sonntag.« Nach diesen Worten schwenkte er seinen dicklichen Körper herum und verließ das Zimmer.
    Die Tür schlug zu. Die Luft wurde erheblich leichter, und dann sahen alle, die Anwälte, die Jury-Berater, Carl und jedermann sonst gleichzeitig auf die Uhr. Ihnen war gerade befohlen worden, neununddreißig der nächsten dreiundfünfzig Stunden in diesem Zimmer zu verbringen und Fotoprojektionen zu betrachten, die sie allesamt bereits gesehen hatten, und sich die Namen, Geburtsdaten und Lebensumstände von fast zweihundert Leuten ins Gedächtnis zu prägen.
    Und niemand im Raum hegte auch nur den geringsten Zweifel, daß sie genau das tun würden, was ihnen befohlen worden war. Aber auch nicht den allergeringsten.
    Fitch ging über die Treppe ins Erdgeschoß des Gebäudes, wo sein Fahrer auf ihn wartete, ein großer Mann namens José. José trug einen schwarzen Anzug, schwarze Cowboystiefel und eine schwarze Sonnenbrille, die er nur abnahm, wenn er duschte oder schlief. Fitch öffnete eine Tür, ohne anzuklopfen, und unterbrach eine Konferenz, die bereits seit Stunden andauerte. Vier Anwälte und ihre diversen Mitarbeiter schauten sich die auf Video aufgenommenen Anhörungen der ersten Zeugen der Anklage an. Das Band kam nur Sekunden nach Fitchs Hereinplatzen zum Stillstand. Er wechselte ein paar Worte mit einem der Anwälte, dann verließ er das Zimmer. José folgte ihm durch eine kleine Bibliothek auf einen anderen Korridor, wo er eine weitere Tür aufriß und eine weitere Schar Anwälte erschreckte.
    Mit achtzig Anwälten war die Kanzlei Whitney & Cable & White die größte an der Golfküste. Die Kanzlei war von Fitch selbst ausgewählt worden, und seine Wahl bedeutete, daß sie Millionen an Honoraren kassieren würde. Aber um dieses Geld zu verdienen, mußte die Kanzlei die Tyrannei und die Rücksichtslosigkeit von Rankin Fitch ertragen.
    Als er sicher sein konnte, daß sich jedermann seiner Anwesenheit bewußt war und in Angst und Schrecken schwebte, verließ Fitch das Gebäude. Er stand in der warmen Oktoberluft auf dem Gehsteig und wartete auf José. Drei Blocks entfernt, in der oberen Hälfte eines alten Bankgebäudes, sah er eine hell erleuchtete Bürosuite. Der Feind war noch an der Arbeit. Da oben hatten sich die Anwälte der Klägerin versammelt, zusammengedrängt in verschiedenen Räumen, saßen mit Experten zusammen, betrachteten grobkörnige Fotos und taten so ziemlich dasselbe wie seine Leute. Der Prozeß begann am Montag mit der Auswahl der Geschworenen, und er wußte, daß auch sie über Namen und Gesichtern schwitzten und sich fragten, wer zum Teufel Nicholas Easter war und wo er herkam. Und Ramon Caro, Lucas Miller, Andrew Lamb, Barbara Furrow und Delores DeBoe? Wer waren diese Leute? Nur in einer hinterwäldlerischen Gegend wie Mississippi gab es derart veraltete Listen von potentiellen Geschworenen. Fitch hatte vor diesem hier die Verteidigung in acht Fällen dirigiert, in acht verschiedenen Staaten, in denen man Computer benutzte und die Unterlagen auf dem laufenden hielt, und wo man, wenn man von der Gerichtskanzlei die Liste der Geschworenen bekam, sich nicht erst fragen mußte, wer von ihnen tot war und wer nicht.
    Er starrte leeren Blickes auf die fernen Lichter und fragte sich, wie die gierigen Haie das Geld aufteilen würden, wenn sie es schafften, den Prozeß zu gewinnen. Wie in aller Welt würden sie sich je über die Verteilung des blutigen Kadavers einigen können? Der Prozeß würde ein sanftes Scharmützel sein im Vergleich zu dem Schlachtfest, zu dem es kommen würde, wenn sie ihr Urteil bekamen und ihre Beute.
    Er haßte sie, und er spuckte auf den Gehsteig. Er zündete sich eine Zigarette an und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher