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Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)

Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)

Titel: Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
Autoren: Stefan Seitz
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ehrlich zu sein, Primus hatte sie nicht einmal bemerkt. Schließlich war er ja auch kein Vampir, wie in Klettenheim alle dachten, wenngleich er als Fledermaus durchaus gewisse Ähnlichkeiten aufweisen konnte.
    Doch dieser Eindruck war trügerisch. Denn in Wirklichkeit sah Primus ganz anders aus:
    In seiner normalen Gestalt war er ein hageres Bürschchen, mittelgroß, mit einem scharf geschnittenen Gesicht. Um die spitze Nase herum, an der man ihn schon von weitem erkennen konnte, wirkte Primus immer ein wenig blass, ja geradezu grünlich. Letzteres kam durch seine schwarzen Haare besonders deutlich zur Geltung. Er war altmodisch gekleidet, mit seinem hohen Stehkragen und dem abgegriffenen Frack. Über den Schuhen trug er vergilbte Gamaschen und – sowohl als Mensch wie auch in Gestalt der Fledermaus – stets den schwarzen, zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf.
    Wie alt Primus war und warum er sich nach Belieben in eine Fledermaus verwandeln konnte, das wusste er nicht. Einst war ihm etwas Schreckliches zugestoßen, so viel stand fest! … damals, vor langer Zeit, als Primus zusammen mit dem anderen Lehrling von Magnus Ulme einem großen Geheimnis auf der Spur war. Seither hatte sich alles geändert. Magnus Ulme, sein alter Meister, war verschwunden. Und ebenso wie dieser hatten sich Primus’ Erinnerungen an jene Tage spurlos in Luft aufgelöst.
    Noch bis vor kurzem hatte ihn das alles nicht sonderlich beschäftigt. Warum auch?! Primus führte ein Dasein, wie er es sich schöner nicht hätte vorstellen können. Er lebte in Ulmes altem Turm, schlich stundenlang durch die Räume und trieb sich nach Herzenslust in der großen Stadtbibliothek von Hohenweis herum. Seine Abende verbrachte er zumeist über Büchern oder flatterte lustig durchs Land. Er musste sich um nichts und niemanden kümmern, und wenn es nach ihm ginge, dann könnte das ruhig alles so bleiben.
    Gespannt lümmelte er nun in seinem Versteck und lauschte der Geschichte der alten Großmutter. In den Mundwinkeln klebten ihm noch die Überreste seines letzten Besuchs in der Klettenheimer Backstube – wohlgemerkt Primus’ unumstrittener Stammladen. Dort hatte es heute Plundergebäck und ofenfrische Nussschnecken gegeben. Sogar Zimtplätzchen hatten in den Regalen gelegen, wobei er diese im Dunkeln fast übersehen hätte. Die Klettenheimer machten einfach das beste Backwerk, davon war Primus überzeugt. Aus diesem Grund kam er auch nahezu jede Woche aufs Neue, um die Leckereien gründlich zu testen. Das betrieb er nun schon seit über zweihundert Jahren, und die Klettenheimer versuchten wiederum alles, um dem endlich ein Ende zu setzen. Allerdings waren die Dorfbewohner dabei nicht sonderlich erfolgreich, wie unschwer festzustellen war, ganz im Gegenteil. Primus empfand es sogar als außerordentlich komisch, wenn das halbe Dorf wieder einmal wutentbrannt mit Fackeln und Schaufeln bewaffnet hinter ihm herrannte und ihn schimpfend durch die Straßen jagte.
    Aber wie dem auch sei, heute Nacht hatte er ursprünglich nicht vorgehabt, sonderlich lange auszubleiben. Sein Besuch in Klettenheim war vielmehr als kurzer Nachtimbiss während seiner Kaminlektüre gedacht gewesen. Doch als er vorhin die Konditorei durch den Schornstein verlassen hatte – die Klappe der Katzentür war mittlerweile mit einem Vorhängeschloss gesichert –, da war ihm vor dem Haus die Stimme der alten Großmutter ans Ohr gedrungen. Für Schauergeschichten hatte Primus schon immer eine Schwäche gehabt, und daher konnte er natürlich nicht widerstehen, sie sich aus nächster Nähe anzuhören. So rekelte er sich nun satt und zufrieden auf seinem Dachbalken und streckte behaglich die Flügel aus.
    Wenig später erzählte die Großmutter weiter.
    »Die Mädchen liefen und liefen. In weiten Bögen rannten sie dem Licht hinterher. Mal ging es nach links, dann wieder nach rechts und anschließend schnurstracks geradeaus. Das Ganze ging so lange, bis sie nicht mehr konnten. Erschöpft blieben sie schließlich stehen. Das Licht war verblasst! Und diesmal«, sagte die Großmutter, »kam es auch nicht mehr zurück.«
    Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Verwundert blickten die beiden sich um. Der Finsterwald sah nun auf einmal ganz anders aus! Und von den vormals mächtigen Bäumen waren nur noch ein paar astlose Stümpfe übrig.« Die alte Frau spitzte die Lippen.
    »Wisst ihr, wo die beiden nun waren?«, murmelte sie zwischen ihren Zähnen hindurch.
    »Nein«, gähnte Primus.
    Doch von den
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