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Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)

Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)

Titel: Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
Autoren: Stefan Seitz
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Weg. Blindlings tasteten sie sich im Dunkeln voran. Die spindeldürren Äste griffen nach ihnen, zerrten an ihren Kleidern und die mächtigen alten Bäume schienen sie all die Zeit über auf gespenstische Weise anzublicken. So stolperten die armen Kleinen vorwärts. Schritt für Schritt, und es schien, als würde die Nacht nie wieder enden wollen.«
    Die Kinder in ihren Betten gaben keinen Laut mehr von sich. Alle drei schauten auf die Großmutter, die warnend die Augenbrauen hob.
    »Aber die Mädchen waren nicht alleine«, knurrte sie. »Das garstige Irrlicht … es war noch immer in ihrer Nähe. Erloschen und für ihre Augen unsichtbar, hielt es sich unter Baumrinden versteckt. Von dort sah es zu ihnen herüber und wartete ab. Wenngleich auch nur für kurze Zeit. Denn schon sehr bald kam es wieder zum Vorschein und spielte ihnen den nächsten Streich.«
    »Was hat es getan?«, fragte der kleinere Junge.
    »Es begann erneut zu leuchten«, war die Antwort, »nur jetzt in einer anderen Form.«
    »Wie meinst du das, Großmutter?«
    »Irrlichter können sich verändern«, erklärte diese. »Sie gaukeln euch vor, was ihnen beliebt, oder aber, was ihr euch gerade am sehnsüchtigsten wünscht. So war es auch in diesem Moment. Der Schimmer tauchte zwischen den Bäumen auf und glich nun nicht mehr einem flackernden Lagerfeuer, o nein. Jetzt sah er genauso aus, wie das Fenster am Haus ihrer Eltern. Gewiss könnt ihr euch vorstellen, dass die beiden Mädchen vor Freude aufsprangen. Hals über Kopf rannten sie durch den Wald und blindlings dem Licht hinterher. Aber der Spuk wurde daraufhin nur noch schlimmer! Denn das böse Licht hatte sich jetzt etwas ganz Besonderes für sie einfallen lassen.«
    Die Kinder hielten den Atem an.
    Nach einer kurzen Pause beugte sich die Großmutter vor und blickte über den Rand ihrer Brille. »Während die Mädchen nämlich dem Licht hinterherliefen«, fuhr sie fort, »änderte dieses seine Größe.«
    »Es wurde größer?«
    »Ja«, antwortete sie der Kleinen. »Es wuchs an, wobei es sich stetig von den beiden fortbewegte. Dadurch folgten die Mädchen dem Licht auch immer weiter durch den Wald und glaubten, sie würden dem Haus langsam näher kommen. Aber hierbei«, fügte die Frau verschwörerisch hinzu, »täuschten sie sich gewaltig!«
    Sie fuchtelte mit ihrem Finger. »Haltet euch deshalb nach Einbruch der Nacht immer schön vom Finsterwald fern. Dort wimmelt es nur so von Spukgestalten, die allesamt nichts Gutes im Schilde führen. Meidet den Wald, so gut es nur geht. Und solltet ihr ihn eines Tages trotzdem betreten müssen, dann verlasst niemals, hört ihr, niemals die Pfade. Habt ihr verstanden?«
    Die Kinder nickten respektvoll.
    Gerade wollte die alte Dame fortfahren, als ein kühler Lufthauch durch das Loch in der Glasscheibe blies. Sie zupfte an ihrem Schal, stand auf und trottete zum Fenster. Dort zog sie fröstelnd den Vorhang zu. Nach einem prüfenden Blick auf die Knoblauchgirlanden kam sie knarrenden Schrittes wieder zurück. Die Flamme in der Petroleumlampe flackerte.
    Mit großen Augen saß das Mädchen in seinem Bett und betrachtete gebannt die unheimlichen Schatten, die über die Zimmerwand tanzten. Besonders der Lehnstuhl erzeugte eine furchterregende Form. Sie war lang und schmal, glich einem gespenstischen Baum und erhob sich bedrohlich bis in den Dachstuhl hinauf. Geduckt schielte die Kleine nach oben. Da schien es für einen kurzen Augenblick, als hätte sie die Fledermaus bemerkt, welche hoch oben im Schatten zwischen den Dachbalken saß. Nun möchte man meinen, dass Fledermäuse in den Dachstühlen der alten Häuser nichts Außergewöhnliches gewesen wären, schließlich gab es sie überall. Doch diese hier sah anders aus als die üblichen. Sie war größer, besaß ein rabenschwarzes Fell und trug auf ihrem Köpfchen einen hohen, schmalen und zerknautschten Zylinderhut. Es war niemand anderer als Primus!
    Der Schatten des Lehnstuhls schnellte über die Wand, als die rundliche Frau darin Platz nahm. Sofort richtete das Mädchen seine Augen wieder auf die Großmutter. Der seltsamen Fledermaus über ihm im Gebälk schenkte es keine Aufmerksamkeit mehr.
    Primus war schon vor geraumer Zeit durch das Loch im Fenster geschlüpft und hatte es sich unbemerkt zwischen den morschen Dachbalken bequem gemacht. Der Knoblauch am Fenster hatte ihn dabei nicht im Geringsten gestört. Zwar waren die stinkenden Girlanden ausschließlich seinetwegen dort angebracht worden, aber um
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