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Das Testament des Gunfighters

Das Testament des Gunfighters

Titel: Das Testament des Gunfighters
Autoren: Jack Slade
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bis zur Decke hinauf. Vom Gebälk hingen fette Spinnweben, in denen die vertrockneten Hüllen ausgesaugter Nachtfalter schaukelten.
    Nach ihrem Abstecher nach Benson gab Marjorie ihren Reinigungsplan jedoch auf. Zumindest vorläufig. In dem Schließfach hatte sie einen versiegelten Brief gefunden. Am Anfang hatte sie geglaubt, des Rätsels Lösung in der Hand zu halten.
    Fehlanzeige.
    In dem Kuvert war lediglich ein Zettel mit einer in großen, steilen Druckbuchstaben geschriebenen Adresse gewesen.
    John Macon, Boulder House, Fremont Street, Tombstone.
    Marjorie hatte keine Ahnung, wer John Macon war. Obwohl sie lange in der Stadt gewohnt hatte, war ihr dieser Name nie zu Ohren gekommen. Sie kannte nur das Boulder House, eines der ältesten Gebäude der Stadt, von dem es hieß, dass ein Fluch darauf lastete.
    Carson bellte noch immer.
    »He! Geh mir nicht auf die Nerven!« Allmählich hatte Marjorie die Nase voll von ihrem Gefährten. Seit er diese verflixte Holzkiste aus der Erde gebuddelt hatte, führte er sich auf, als hätte er Peyote gefressen. »Aufhören, sage ich!«
    Das Wunder geschah, Carson stellte sein Gekläffe ein.
    Marjorie atmete auf. Sie schnallte ihren kleinen Reisesack an den Sattel und schwang sich auf das Pferd. Carson ließ sie nicht aus den Augen, aber er blieb ruhig. Offenbar hatte er resigniert.
    » So long , Partner!« Sie winkte ihm, als sie zum Torbogen ritt.
    Der Hund hechelte, den Kopf auf den Vorderpfoten. Er machte keine Anstalten, sie auf ihrem Ritt zu begleiten.
    Marjorie war höllisch gespannt auf den Mann, der sich hinter dem Namen John Macon verbarg. Vermutlich kannte er das Geheimnis von Bram Boomer und wusste sogar, warum der so plötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
    Sie gab dem Pferd die Sporen.
    Stunden später erreichte sie das San-Pedro-Tal mit seinen Silbergruben, Minercamps und Schlackebergen. Als sie kurz darauf in Tombstone einritt, drückte sie ihren Hut tiefer ins Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Das Intermezzo mit dem dreisten Grabscher in Glenn Peters’ Gemischtwarenladen war ihr noch bestens in Erinnerung. Wahrscheinlich würde sie in den Augen der meisten Bewohner bis zum Jüngsten Tag eine Prostituierte bleiben.
    Marjorie hatte Glück. Keiner der Passanten wurde auf sie aufmerksam.
    So gelangte sie unbehelligt in die Fremont Street, die sie in voller Länge entlangritt, bis am Stadtrand das Boulder House in Sicht kam.
    Ein jäher Schauder durchfuhr sie, als sie ihr Pferd vor dem Boulder House zum Stehen brachte.
    In der abendlichen Dämmerung wirkte das alte Haus abstoßend und unheilverkündend. Die schmutzverkrusteten Fenster in der porösen Holzfassade waren von innen mit bleigrauen Vorhängen zugezogen. Der Sidewalk vor dem Haus war mit schmutzigem Sand bedeckt. Aus den Ritzen der Bodenbretter quoll stacheliges Unkraut.
    Marjorie saß ab. Das Pferd an der Leine, klopfte sie an die Tür.
    Niemand öffnete.
    Nach einigen weiteren Fehlversuchen umrundete sie das Haus. Es gab einen kleinen Anbau, nur ein Stockwerk hoch. Am Giebel fand sich eine Tür, an die Marjorie laut anklopfte.
    Gleich darauf erklangen schlurfende Schritte.
    Quietschend öffnete sich die Tür, und Marjorie blickte in das verrunzelte Gesicht eines vollbärtigen Greises. Er trug ein fadenscheiniges Mäntelchen aus Sackleinen und eine Kette mit Holzkugeln um den Hals. Seine ungewaschenen Füße steckten in Sandalen, die wenigstens zwei Nummern zu groß waren.
    Marjorie setzte ein Lächeln auf. »Ich möchte zu Mr. John Macon.«
    Der Hausherr musterte sie prüfend, ohne ein Wort.
    Aus dem Inneren des Zimmers quoll der Geruch von verdorbenem Fleisch.
    Marjorie hielt den Atem an. »Sie sind doch John Macon, nicht wahr?«
    »Ja, der bin ich. Was kann ich für Sie tun, Miss Grant?«, fragte er.
    Seine Stimme klang merkwürdig dünn und hoch. Sie passte eher zu einer alten Frau als zu einem Greis mit schlohweißem Rauschebart. Marjorie, die sicher war, dem Alten noch nie begegnet zu sein, wunderte sich, dass ihm ihr Name geläufig war. Aus ihrer Zeit als Amüsiergirl kannte sie ihn bestimmt nicht. Auch auf der Straße hatte sie ihn noch nie gesehen.
    Sie griff unter ihre Jacke und holte den Brief mit der Adresse hervor.
    Macon glotzte ihn an. »Kommen Sie ins Haus, Miss«, sagte er hastig.
    Sie zögerte. Die Aussicht, ein Haus zu betreten, in dem es so unangenehm roch, schnürte ihr die Kehle zu.
    »Kommen Sie!«, drängte Macon.
    Marjorie gab sich einen Ruck und folgte ihm in eine
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