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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Autoren: Marisa Brand
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für Moses. Unter den Irren schien Meister Enoch der König zu sein.
    Er richtete sich zu erstaunlicher Größe auf. Ein Zittern ging durch seinen mageren Leib. Er setzte den rechten Fuß vor, zog den linken nach. Sank wieder auf den rechten, hob sich auf dem linken nach oben, tat wieder einen Schritt, hinkte mit dem linken Bein nach. Seine Arme schlenkerten unkontrolliert nach allen Seiten. Er glich einer grotesken Gliederpuppe, die von einem fernen Fluch gelenkt wurde. Hatte man ihm auf der Streckbank alle Sehnen durchtrennt und die Gelenke zerschlagen?
    Nat hielt die Binsenfackel in den Käfig, um dem Mann den Weg auszuleuchten. Von überall funkelten wilde Blicke. Enoch setzte seinen Gang unbeirrt fort. Anscheinend war er blind.
    »Was ist mit seinem Leib?«, flüsterte der Page erstaunt.
    »Hat zu lange die kleine Erleichterung genossen, bevor er nach Newgate verlegt wurde.«
    Das Gesicht des Pagen wurde zum Fragezeichen.
    »Na, little ease im Tower! Ein Kellerloch drei Stock unter dem Weißen Turm. Kein Licht, kaum Luft. Man kann drin nicht liegen, nicht sitzen und schon gar nicht stehen. Der Gebrauch seiner Beine und Arme ist Master Enoch in der Hockgrube entfallen. Dafür hat er da drin die Sprache der Engel entdeckt. Der Prophet ist ein Mann der Wunder. Er ...«
    Nat brach ab, als das Gesicht des Sehers im Lichtkegel seiner Fackel auftauchte. Der Alte hielt die Augen geschlossen. Der Page erkannte zuerst nichts als Schmutz und Filz. Grauweiße Korkenzieherlocken überwucherten ein Gewirr aus ledrigen Furchen. Das Antlitz einer Mumie. Er schien seinem Alter um mehr als hundert Jahre vorausgeeilt zu sein. War diese Kreatur schon tot?
    Vergebens suchte man nach einer Nase, die dem Gesicht Struktur verliehen hätte. Geblieben war nur die Andeutung eines fleischlosen Hügels. Der Mann musste jahrelang eine eiserne Schandmaske getragen haben. Sein Mund war von einem Bart überwuchert, der sich vor seiner Brust mit dem Filzhaar verwob.
    Und dieses Wesen sollte der Künder letzter Weisheiten sein? Die Augen des Pagen glitten zurück zum Gesicht des Mannes, der nun unsinnige Gebete flüsterte. Oder Zauberformeln?
    »Ol sonf vorsag, goho iad balt, lonsh calz vonpho.«
    Unvermittelt hob der Mann im Käfig die Lider. Wie eine Schlange. »Seid mir gegrüßt, Kinder Gottes.«
    Der Page schnappte nach Luft. Diese Augen! Das linke war nicht mehr als eine milchig weiße Kugel, die blind in einem See aus Tränen schwamm. Das rechte hingegen strahlte wie geputztes Silber. Die Pupille darin war leicht versetzt und erinnerte an einen Teich von makellosem Schwarz und unermesslicher Tiefe. Etwas bewegte sich darin, ein weiteres Augenpaar?
    Himmel, es war sein eigenes! Und dahinter noch eins, und noch eins, eine unendliche Reihe von Augen, die bis zum Beginn der Zeit zurückzublicken schienen. Die ungezählten Blicke fingen ihn ein. Der Page fühlte sich nackt und seiner geheimsten Gedanken entkleidet. Er spürte den Boden unter seinen Füßen nicht mehr, fiel Halt suchend auf die Knie und neigte den Kopf.
    »Du bist also gekommen, um eine Weissagung zu kaufen.« Eine Feststellung. Keine Frage. Die Stimme des Greises war mild wie Mandelmilch.
    Der Page nickte vage und suchte in seinem Kopf nach der Frage, die sein Auftraggeber ihm durch einen Lakai vermittelt hatte.
    Enoch ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Warte.« Wie ein Taschenspieler zog er ein abgegriffenes Kartenspiel aus den Tiefen seiner Kutte hervor. »Zieh!«
    Zögernd nahm der Page eine Karte. Sie zeigte einen jungen Helden auf einem heidnischen Streitwagen, der von zwei Hunden gezogen wurde, der eine schwarz, der andere weiß, mit Menschenhaupt und weiblichem Kopfputz.
    Enoch betrachtete die Karte und lächelte. »Der Wagen! Wie interessant. Nun, es geht also um das Mädchen mit den zwei Köpfen, das diesen Januar im Dorf zu Greenwich geboren und begraben wurde. Ich nehme an, man hat dieses Wechselbalg rasch getötet?«
    Der Page betrachtete die Karte, dann wieder den Propheten. Wie konnte der Mann das wissen? Er hatte seine Fragen nicht einmal diesem Nat verraten. Hatte die Karte Zauberkraft oder konnte der Alte in seinen Gedanken lesen?
    Rasch begann der Page den Rest seiner Informationen herunterzuhaspeln. »Die Missgeburt kam am sechsten Todestag von König Heinrich zur Welt. Die Palast-Astrologen halten das für ein Omen. Sie fürchten, dass König Edwards Bastardschwestern sein Leben bedrohen.« Er warf sich in Pose. »Einige behaupten, man müsse Maria und
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