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Das Tal der Angst

Das Tal der Angst

Titel: Das Tal der Angst
Autoren: Arthur Conan Doyle
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ihm anvertraut worden waren, bereits ausgezeichnet. Seine hochgewachsene, starkknochige Gestalt ließ auf außerordentliche Körperkräfte schließen, während der große Schädel und die tiefliegenden, glänzenden Augen nicht weniger deutlich auf seinen schneidenden Verstand hinwiesen, der unter den buschigen Augenbrauen hervorblitzte. Der Mann war schweigsam, akkurat, ein wenig stur und sprach mit hartem Aberdeen-Akzent. Schon zweimal in seiner Laufbahn hatte ihm Holmes zu Erfolgen verholfen, wobei sein eigener Lohn einzig in der intellektuellen Freude am jeweiligen Problem bestanden hatte. Aus diesem Grund waren Zuneigung und Respekt des Schotten gegenüber seinem Amateurkollegen tiefempfunden, und das ließ er auch offen erkennen durch die Freimütigkeit, mit der er Holmes in jeder schwierigen Lage konsultierte. Mittelmaß kennt nichts Erhabeneres als sich selbst, Talent jedoch erkennt Genie sofort, und MacDonald hatte genügend Talent zu seinem Beruf, daß er keine Demütigung erblickte in der Bitte um die Hilfe eines Mannes, der in Hinsicht auf seine Gaben und Erfahrungen in Europa bereits einzig dastand. Holmes neigte nicht zu Freundschaften, aber dem großgewachsenen Schotten gegenüber war er duldsam, und er lächelte jetzt, als er ihn sah.
    »Sie sind offenbar mit den Hühnern aufgestanden, Mr. Mac«, sagte er. »Ich wünsche Glück auf Ihrer Jagd nach fetten Würmern. Aber ich furchte, es bedeutet wohl, daß etwas Ungutes im Gange ist.«
    »Wenn Sie statt ›fürchten‹ ›hoffen‹ gesagt hätten, käme das wohl der Wahrheit näher, würd ich meinen, Mr. Holmes«, erwiderte der Inspektor mit wissendem Grinsen. »Na gut, ein winziges Schlückchen würde die rauhe Morgenkälte vielleicht vertreiben. Nein danke, so früh rauche ich noch nicht. Ich muß mich gleich wieder auf den Weg machen, weil ja die ersten Stunden eines Falles die kostbaren sind, was niemand besser weiß als Sie. Aber – aber …«
    Der Inspektor hatte plötzlich innegehalten und starrte absolut fassungslos ein Blatt Papier auf dem Tisch an. Es war der Bogen, auf den ich die rätselhafte Botschaft gekritzelt hatte.
    »Douglas!« stammelte er. »Birlstone! Was ist denn das, Mr. Holmes? Menschenskind, das ist ja Hexerei! Wo, um alles in der Welt, haben Sie diese Namen her?«
    »Es ist eine verschlüsselte Botschaft, die Dr. Watson und ich mal eben entziffert haben. Aber warum – was stimmt nicht mit den Namen?«
    Der Inspektor blickte uns nacheinander wie betäubt vor Verblüffung an.
    »Nur so viel«, sagte er, »daß Mr. Douglas von Birlstone Manor House heute früh auf schreckliche Weise ermordet worden ist.«
2. Mr. Sherlock Holmes doziert
    Es war einer jener dramatischen Augenblicke, für die mein Freund lebte. Gleichwohl wäre es übertrieben zu behaupten, die erstaunliche Mitteilung habe ihn aus der Fassung gebracht oder auch nur aufgeregt. Nicht, daß in seinem einzigartigen Wesen eine Spur von Grausamkeit gelegen hätte; aber die langjährige Überreizung hatte ihn zweifellos abgehärtet. Seine Gefühlsregungen waren abgestumpft; seine intellektuelle Wahrnehmungskraft blieb jedoch außerordentlich rege. Folglich gab es bei ihm keine Anzeichen des Grausens, welches ich bei dieser knappen Erklärung verspürt hatte, sondern seine Miene zeigte eher die ruhige und interessierte Gelassenheit eines Chemikers, der das Ausfallen der Kristalle in einer übersättigten Lösung beobachtet.
    »Bemerkenswert!« sagte er; »bemerkenswert!«
    »Sie scheinen gar nicht überrascht zu sein.«
    »Interessiert, Mr. Mac, aber kaum überrascht. Warum sollte ich auch? Von einer mir als wichtig bekannten Quelle erhalte ich eine anonyme Nachricht mit der Warnung, daß einer bestimmten Person Gefahr droht. Im Verlauf einer Stunde erfahre ich, daß diese Gefahr tatsächlich Gestalt angenommen hat und daß die Person tot ist. Ich bin interessiert; aber, wie Sie bemerken, nicht überrascht.«
    In ein paar kurzen Sätzen erläuterte er dem Inspektor, was es mit dem Brief und der Geheimschrift auf sich hatte. MacDonald saß da, das Kinn auf den Händen, und seine dichten, sandfarbenen Augenbrauen zogen sich zu einem gelben Büschel zusammen.
    »Ich wollte noch heute früh nach Birlstone runter«, sagte er. »Eigentlich bin ich hergekommen, Sie zu fragen, ob Sie mich begleiten möchten – Sie und Ihr Freund hier. Aber nach dem, was Sie sagen, könnten wir hier in London vielleicht mehr erreichen.«
    »Das glaube ich eigentlich nicht«, sagte Holmes.
    »Zum
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