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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat
Autoren: Fran Ray
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zusammengeknüllten verworfenen Ideen die größte Wahrheit stecke, hieß es in der Erklärung des Preises. Dann könnte sie ja jetzt die Wahrheit sagen, dass sie eine Pistole hatte, dass sie jeden erschießen würde, der es noch einmal wagen sollte, ihr Gewalt anzutun.
    Was würden sie tun? Das Mikrofon abstellen? Oder klatschen? Was würde morgen in den Zeitungen stehen?
    Mehr als zweihundert geladene Gäste sahen sie an, erwartungsvoll, neugierig, was Karen Burnett, die Tochter der bekannten Jane Burnett, zu sagen hatte. Sie schluckte, umklammerte das vergoldete Papierknäuel und merkte, wie es in ihre Handflächen schnitt. »Ich danke Ihnen«, hörte sie ihre Stimme durch den Saal hallen, »und ich fühle mich sehr geehrt. Ich wollte den Menschen – den Frauen und Kindern, über die ich berichtet habe, in Darfur oder in Afghanistan, den Flüchtlingen in den Camps in der Ukraine oder in Patras – Gehör verleihen. Ihnen, die keine Papiere haben, keine Rechte, die man einsperren und abschieben kann, denen man Gewalt antun kann, ohne dafür belangt zu werden.«
    So etwas haben sie erwartet, Karen, bravo! So kennen sie dich!
    So lieben sie dich.
    Die Pause nach dem Ende ihres Satzes erschien ihr unendlich lang, sie glaubte schon die Zuhörer auf ihren Stühlen herumrutschen zu sehen, runzelten Einzelne nicht schon die Stirn, fragten sich womöglich, ob sie einen Blackout hatte? Die Arme, sie war sicher immer noch traumatisiert, würden sie denken. Sie räusperte sich, und dann, endlich, sagte sie: »Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie durch diese Ehrung auch diesen Menschen entgegenbringen. Möge die Zeit kommen, in der solche Preise nicht mehr nötig sind.«
    Stille. Dann Applaus. Erst zögernd. Dann zustimmend. Überzeugt. Empathisch. Für einen kurzen Augenblick spürte sie ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt und den Menschen, dann aber verkrampfte sich wieder ihr Magen.
    Kaum nahm sie wahr, dass man ihr einen Scheck über fünftausend Euro überreichte, dazu einen Blumenstrauß aus Grünzeug, roten Tulpen und Blumen, die sie weder kannte noch mochte, sie schüttelte Hände, versuchte zu lächeln und auf ein paar Fragen zu antworten. Dann war es endlich vorbei.
    Michael hielt ihr den Wintermantel hin. »Und, wie fühlt man sich mit so einem goldenen Ding, Karen Burnett? Du hättest da oben ruhig ein bisschen freudiger klingen können.«
    Sie war schon froh, dass sie es wenigstens so geschafft hatte.
    »Außerdem haben wir uns gar keine Gedanken gemacht, wo wir feiern.« Er zog seinen Mantel an.
    »Ich ... ich glaube, ich will nach Hause, Michael.«
    »Okay, wir holen’s nach, oder?«
    Ihr entging nicht, wie viel Mühe er sich gab, seine Enttäuschung nicht zu zeigen. »He, dein Handy.« Er deutete auf ihre Handtasche. »Wäre peinlich geworden!«
    Sie hatte tatsächlich vergessen, es auszuschalten.
    »Hier ist David«, meldete sich eine vertraute Stimme. »French.«
    »David!«
    »Herzlichen Glückwunsch. Ich hab’s nicht geschafft, eine Einladung zu kriegen.« Seine Stimme tat ihr gut, holte etwas zurück, ein altes Gefühl von ... Nähe. Sie mochte David, sie vermisste die Arbeit mit ihm und die Art und Weise, wie sie mit ihm reden konnte.
    »Na ja, ich hab nicht gerade die Rede meines Lebens gehalten.« Sie musste sogar ein bisschen lächeln.
    »Karen ... Ich ... würde dich gern sehen. Ich bin in Brüssel, leider nur heute ... aber wenn du mit Michael ...«
    Nein, er sollte jetzt nicht wieder auflegen, nicht wieder verschwinden, wo er doch gerade erst aufgetaucht war. »Nein ... Wo bist du?«
    »Fast um die Ecke. Im Le Chameau Noir , Rue des Poissoniers.«
    »Ich komme«, sie zögerte, »... mit Michael.«
    Michael wartete, bis sie fertig war. »David. Er schnippt mit dem Finger, und du springst. Wenn du mit ihm sprichst, bist du ganz verändert. Keine Spur mehr von dieser verfluchten depressiven Stimmung, von dieser Last und Qual, mit der du dich durchs Leben schleppst und alles um dich herum niederdrückst. Geh allein hin.«
    Sie wollte David sehen. Jetzt. Plötzlich erschien ihr Davids Anruf als die einzige Rettung aus diesem bodenlosen Sumpf aus Depression, in dem sie schon wieder zu versinken drohte. »Warum willst du nicht mitkommen?«, fragte sie lau.
    »Ich wollte den Abend mit dir verbringen. Nicht mit dir – und ihm.« Er knöpfte seinen Mantel zu. »Und wenn du ehrlich bist, willst du gar nicht, dass ich mitkomme.«
    Sie antwortete nicht. Ein Mann im schwarzen Anzug wollte
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