Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat
Autoren: Fran Ray
Vom Netzwerk:
heute.
    »Karen«, rief Michael hinter ihr, »wahrscheinlich ist sowieso keiner pünktlich. Die stecken alle im Stau. Warum schickst du nicht eine SMS? Sie sollen dir das Ding per Post senden.«
    Abrupt blieb sie stehen. »Ich geh da rein und hol mir dieses verfluchte – wie du es nennst – Ding! Und nichts und niemand hält mich davon ab!«
    Er lachte kurz auf. »So kennen und lieben wir sie alle: Die Burnett, trotzt sogar einem Blizzard! Stürzt sich in jedes Abenteuer!«
    »Es ist kein Blizzard, Michael«, sie sah ihn herausfordernd an und stapfte wieder los, »und ich bin nicht die Burnett, Herrgott noch mal!« Das war ihre Mutter, immer noch, nein – noch mehr, seitdem sie tot war. Starjournalistin für die Londoner Times und die New York Times, und dann im Fernsehen bei CNN. Jane Burnett, die immer eine Lösung parat hatte, die Auszeichnungen und Preise abräumte, für die es nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gab, wie sie gar nicht bescheiden – das war sie nie gewesen – ihre Autobiographie genannt hatte.
    Und natürlich hatte das Buch sechs Wochen oder sogar sieben auf der New-York-Times-Bestsellerliste gestanden, und natürlich hatte sie den Booker Prize gewonnen und noch ein paar andere Auszeichnungen. Sie hatte es geschafft, sich zu inszenieren, ob wort- und weltgewandt in Talkrunden oder zornig mit zerzaustem dunklen Haar auf brennenden Ölfeldern in Kuwait und vor traurigen Trümmern im Kosovo. Jane Burnett hatte sich stilisiert zur Ikone der Kriegsberichterstattung.
    »Karen, he, das war ein Spaß!«, rief er und versuchte, mit ihr Schritt zu halten. »Ich wollte dich ein bisschen locker machen.«
    »Danke, darin bist du wirklich gut«, sagte sie.
    »Ich verstehe überhaupt nicht, was du gegen deine Mutter hast – und überhaupt gegen deine Eltern. Wirklich. Warum bist du nicht einfach stolz auf sie? Deine Mom, die kompromisslose Journalistin! Und dein Vater: ein Held! Im Krieg für Amerika gestorben! Du hast echte Patrioten als Eltern. Meine waren mittellose Immigranten.«
    Sie erwiderte nichts. Ihre Mutter war eine Egozentrikerin gewesen, hatte sich schon immer um die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gekümmert anstatt um ihre kleine Tochter. Und ihren Vater, Major John Kelly, hatte sie gar nicht erst kennengelernt. Sie, Karen, war nicht mehr als eine kurze, sehr kurze Episode während einiger kalter Wüstennächte gewesen, in denen zwei Menschen mit viel Adrenalin im Blut zueinanderfanden, erleichtert und dankbar, dass sie wieder einen Tag überlebt hatten.
    Er war ein sehr tapferer, intelligenter und liebenswerter Mann, Karen. Ihr hättet euch sicher gut verstanden. Er war viel, viel geduldiger als ich. Er konnte gut zuhören, wusste etwas zu erzählen, besaß Charakter, Autorität, Verständnis , wurde ihre Mutter nicht müde zu betonen, und manchmal fügte sie noch hinzu: Er war im Grunde ein besserer Mensch als ich. Und das aus dem Mund ihrer Mutter!
    Nur einen Monat nach ihrer gemeinsamen Zeit in der Wüste, ihre Mutter war schon längst in einem anderen Teil des Landes, wurde Major John Kelly bei einem Angriff in Kuwait getötet. Geheiratet hatten sie nie.
    Wahrscheinlich habe ich deshalb so früh geheiratet, dachte Karen manchmal, weil ich nicht sein wollte wie sie. Journalistin wollte sie eigentlich auch nie werden. Und so schlug sie sich mit Politik- und Wirtschaftswissenschaft herum, bis sie begriff, dass sie eigentlich die Nähe zu Journalismus-Kommilitonen suchte, weil sie sie beneidete.
    »Karen – du bist diejenige, die heute einen Preis bekommt. Nicht deine Mutter. Du hast keinen Grund, dich schlecht zu fühlen«, hörte sie Michael sagen.
    Als bräuchte man immer einen Grund, Michael.
    Er schob den Arm unter ihren. »Jetzt geht es um dich, okay? Allein um dich. Du kriegst diesen Preis für deine Reportage über das Flüchtlingslager in Patras. Du hast ihn verdient.«
    Sie schüttelte seinen Arm nicht ab, ja, sie war ihm sogar dankbar für diese Geste. Er hatte recht. Sie sollte endlich mal nicht an ihre Mutter denken.
    »Okay«, sie nickte. »Es geht um mich.«
    »Genau.« Er lächelte. »Und jetzt gehen wir da rein ...«
    »... und ich hol mir dieses Ding.«
    »Jawohl!«
    Für ein paar Sekunden fühlte sie sich wieder mit ihm verbunden, so wie früher.
    Mit Schneeflocken auf den Haaren und Mänteln und mit nassen Schuhen, aber fünf Minuten vor der Zeit stapften sie ins golden glänzende Foyer. Im Toilettenraum versuchte Karen, nicht vor dem Gesicht zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher