Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat
Autoren: Fran Ray
Vom Netzwerk:
Strichen zusammengezogen. Er hat doch nie solche Augen gehabt, dachte Ann. Wolfsaugen. Wilde Wolfsaugen. Als sei etwas Unbekanntes in ihn eingedrungen und habe Besitz von ihm ergriffen. Das ist nicht mehr Sam, sagte sie sich, als sie daran dachte, was sie gleich tun würde. Der Hund fing wieder an zu knurren, fletschte die Zähne, spannte den Körper zum Sprung.
    Sie hob die Flinte, zielte genau zwischen die Augen und drückte ab. Einmal. Zweimal.
    Blut spritzte auf ihr Sommerkleid und ihre nackten Beine.
    Entsetzt starrte sie an sich hinunter, und erst jetzt fragte sie sich, wie sie so etwas hatte tun können.
    Sie sank auf die Knie neben den toten Hund und fing an zu schluchzen. Über ihr hing ein schwarzer Himmel, und ihr war, als würde er jede Sekunde auf sie herabstürzen und sie neben Sam begraben.
    Wie konnte so etwas nur passieren? Sam hatte noch nie ... Er hatte noch nicht einmal ein Kaninchen, eine Katze oder einen Vogel angegriffen. Ein ruhiger, friedlicher Hund war er gewesen ... Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, berührte seine Schnauze ... Es war so still, so unheimlich still.
    Ein Donnerschlag machte der Stille ein Ende. Ein greller Blitz zuckte, und dann regnete es. Wassermassen schossen vom Himmel, doch Ann rührte sich nicht, immer wieder streichelte sie das schokobraune Fell vor ihr im Gras und weinte.

2
    Brüssel
    Karen Burnett trat von einem Bein aufs andere, aber ihr wurde nicht wärmer.
    »Michael, bitte, das kann doch nicht so schwer sein«, sagte sie zitternd und schlang die Arme um den Körper, dabei trug sie schon ihren gefütterten Wintermantel. Eine Ewigkeit, so kam es ihr vor, versuchte er, den Mercedes anzulassen, und jetzt hatte er auch noch die Motorhaube geöffnet. Dabei wussten beide, dass er zwar eine komplizierte Rede auf Maltesisch simultan ins Englische übersetzen konnte, dass er aber keine Ahnung hatte von Anlassern, Autobatterien und Zündkerzen. Selbst Reifen wechseln konnte sie schneller als er. Sie zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Eine Ewigkeit hatte sie gebraucht, um ihre Frisur einigermaßen hinzukriegen, und jetzt machte der Schnee alles wieder zunichte.
    »Verfluchte Kiste!«, brummte er.
    »Dieses bisschen Schnee wird uns doch nicht aufhalten, Michael!«, sagte sie gereizt. Warum hatte er seinen BMW auch gestern Abend in der Stadt stehen lassen müssen? Weil er mit Kollegen ausgegangen war und zwei Bier getrunken hatte. Während sie sich zu Hause mal wieder mit einer Flasche Brandy verkrochen hatte. Sie dachte an die Tabletten in ihrer Handtasche. Großartig, Karen, und dann schläfst du ein vor dem Mikro. Außerdem hast du erst vor einer halben Stunde eine Tablette genommen . Wenn es doch nur nicht so kalt wäre! Die Narbe in ihrem Gesicht brannte. Und ihre Füße in den Stiefeln kribbelten unangenehm. Sie würde sich eine Blasenentzündung holen, bestimmt. Seit ... der Sache – sie verbot sich weiterzudenken – war sie extrem kälteempfindlich. Nein, nicht nur kälteempfindlich, all ihre Nerven lagen blank, wie Drähte, von denen man die schützende Plastikhülle heruntergerissen hatte.
    »Das bisschen Schnee?« Michael kam hoch und wies zum offenen Garagentor hinaus. Ein dichter Schneevorhang wehte von einem grauen Himmel.
    Den ganzen Tag war es nicht richtig hell geworden. Als wäre die Erde plötzlich in eine andere, sonnenfernere Umlaufbahn geraten, dachte sie.
    »Karen, das ist ein ... ein Blizzard. «
    »Ein Blizzard in Brüssel? Ach, Michael, du hast noch keinen erlebt.« Der Blizzard in Toronto vor zwei Jahren fiel ihr ein. Zwei Stunden war sie im Auto eingeschneit. An den letzten Sommer hatte sie damals gedacht, an die Blumen und die Sonne und ob sie sie wirklich nie wiedersehen würde, und je weiter die Zeit fortschritt, desto mehr bedauerte sie, dass sie so vieles nicht gelebt hatte.
    »Aber du natürlich«, sagte er genervt. » Du hast ja schon alles erlebt.«
    Nichts war mehr einfach zwischen ihnen. Und dieser Satz von ihm, der noch immer wie eingefroren in der kalten Schneeluft hing, zeigte ihr, wie zerbrechlich ihre Beziehung geworden war. Hastig steckte er den Kopf wieder unter die Motorhaube und murmelte etwas Unverständliches. Eine Entschuldigung?
    Sie sollte netter zu ihm sein, er gab sich doch Mühe. Und wie so oft in letzter Zeit tat er ihr sogar leid.
    »Ich ruf ein Taxi«, sagte sie. Sie rieb sich die Hände, die trotz der warmen Handschuhe eiskalt waren und sich anfühlten, als gehörten sie nicht zu ihrem Körper. Ausgerechnet
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher