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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied
Autoren: Peter Robinson
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das Beste. Versucht euer Glück in der Küche.«
      Und tatsächlich standen auf dem Küchentisch halb leere Rotweinflaschen und ein paar große Bierfässer. Der Kühlschrank war prall gefüllt mit Newcastle Brown und Carlsberg Special Brew, der restliche Platz wurde von Literflaschen Riesling mit Schraubverschluss eingenommen. Die vier Spätankömmlinge versorgten sich mit Getränken und mischten sich dann unters Volk. Es war heiß, schummerig und verraucht. Kirsten stellte sich neben ein geöffnetes Fenster, um etwas frische Luft zu atmen. Sie trank kaltes Lager aus der Dose und beobachtete die auf der Tanzfläche herumfuchtelnden und umherhüpfenden Schatten. Rauchschwaden stiegen auf und strömten an ihr vorbei durch das Fenster in die Nacht.
      Sie dachte an die drei Jahre, die sie zusammen verbracht hatten, und war traurig, dass sie nun alle auf getrennten Wegen in die große, böse Welt jenseits der Universität aufbrachen. In die wirkliche Welt, wie man so schön sagte. Was waren sie zu Anfang noch für ein komischer Haufen gewesen. Im ersten Semester hatten sie sich misstrauisch und schüchtern umkreist, zum ersten Mal weg von zu Hause, ganz verloren und allein, was niemand von ihnen zugeben wollte: Damon, der geistreiche Student des achtzehnten Jahrhunderts; Sarah, feministische Kritik und Frauenliteratur; Hugo, Drama und Dichtung; sie selbst, Linguistik, spezialisiert auf Phonologie und Dialekte; und Galen, Modernismus mit einem guten Schuss Marxismus. Bei Tutorien, Fachbereichstreffen und Partys waren sie vorsichtig aufeinander zugegangen und hatten verwandte Seelen entdeckt. Zum Ende des ersten Jahres waren sie unzertrennlich geworden.
      Gemeinsam hatten sie das Auf und Ab, die Freuden und Leiden der Jugend durchlebt: Kirsten hatte Sarah nach ihrer unschönen Affäre mit Felix Stapeley, ihrem Tutor im zweiten Jahr, getröstet; Sarah zerstritt sich mit Damon nach einer Meinungsverschiedenheit über den Wert des feministischen Ansatzes für die Literatur; Galen trat für Hugo ein, der bei seiner Englischprüfung durchfiel und fast von der Uni verwiesen worden wäre; und Hugo spielte eine Weile den Beleidigten, als Kirsten eine Beziehung mit Galen begann anstatt mit ihm.
      Nachdem sie sich so lange nahe gestanden hatten und ihre Leben derart miteinander verbunden gewesen waren, konnte sich Kirsten eine Zukunft ohne die anderen kaum vorstellen. Dennoch war sie sich voller Trauer bewusst, dass ihr genau das bevorstand. Und obwohl sie und Galen geplant hatten, gemeinsam nach Toronto zu gehen, um dort ihre Studien fortzuführen, könnten sich die Dinge anders entwickeln. Womöglich würde einer von beiden nicht angenommen werden - und was dann?
      Einer der Tänzer stolperte rückwärts und rempelte Kirsten an. Das Bier schäumte und sprudelte über ihre Hand. Der betrunkene Tänzer zuckte nur mit den Achseln und tanzte weiter. Kirsten lachte und stellte die Dose aufs Fensterbrett. Da sie nun endlich ein Gefühl für die Party bekommen hatte, mischte sie sich selbst unter die Menge und plauderte und tanzte, bis sie schwitzte und müde wurde. Als sie dann bemerkte, dass ihre halb volle Dose mittlerweile als Aschenbecher benutzt wurde, holte sie sich ein neues Bier und stellte sich wieder ans Fenster. Die Rolling Stones spielten »Jumping Jack Flash«. Russell wusste, welche Musik die richtige für eine Party war.
      »Wie geht's?« Es war Hugo, der ihr ins Ohr schrie.
      »Mir geht's gut«, rief sie zurück. »Nur ein bisschen müde. Ich werde bald gehen.«
      »Wollen wir tanzen?«
      Kirsten nickte und folgte ihm auf die Tanzfläche. Sie hatte keine Ahnung, ob sie eine gute Tänzerin war oder nicht, aber es machte ihr Spaß. Sie bewegte sich gerne zum Rhythmus schneller Musik, und die Stones waren die Besten. Bei den Stones fühlte sie eine gewisse erdverbundene, freisinnige Kraft tief in ihrem Körper, und wenn sie zu ihrer Musik tanzte, verlor sie alle Hemmungen: Wild schwangen ihre Hüften, ihre Arme zeichneten abstrakte Muster in die Luft. Hugo tanzte nicht so locker. Seine Bewegungen waren schwerer, bedächtiger und knapper als Kirstens. Im Grunde trampelte er nur ein bisschen herum. Aber das machte ihr nichts aus; sie achtete eigentlich nie auf die Person, mit der sie tanzte, sondern bewegte sich in ihrer eigenen Welt. Das Problem war nur, dass einige Männer in ihren wilden Verrenkungen fälschlicherweise eine Einladung ins Bett sahen.
      Der Song endete und es ging weiter mit
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