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Das stumme Lied

Titel: Das stumme Lied
Autoren: Peter Robinson
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haben, die Frau jagen würde, die so plötzlich und scheinbar grundlos sein Leben zerstört hatte? Sie wusste es nicht. Vielleicht hatte sie einen weiteren Menschen geschaffen, der war wie sie, jemanden, der etwas von einem Untoten in sich hatte.
      Doch ganz gleich, wie trostlos manche der Aussichten auch erschienen, sie fühlte sich endlich befreit. Und darüber hinaus war sie wieder Kirsten. Selbst eine Haftstrafe würde jetzt eine Art Freiheit bedeuten. Im Grunde spielte es keine Rolle, was geschah, denn sie hatte getan, was getan werden musste. Nun war sie frei.
      Am besten wäre es sicherlich, früh am nächsten Morgen die Stadt zu verlassen und zurück zu Sarah zu gehen und alles zu vernichten, was sie mit diesem Ort in Verbindung bringen konnte. Das würde sie tun. Vielleicht könnte sie sogar ihre Haare färben, damit sie wie keine der jungen Frauen aussah, die in Whitby gewesen waren.
      Was Kirsten in diesem Moment wirklich tun wollte, merkte sie beim Anblick der Kirche, war, in eine dieser mit NUR FÜR FREMDE gekennzeichneten Kabinen zu schleichen, sich hinzuknien und zu beten, sich dann auf dem grünen Fries zusammenzurollen und zu schlafen. Doch nachts war die Kirche wahrscheinlich abgeschlossen.
      Als sie aufstand, rutschte der Briefbeschwerer aus ihrer verschwitzten Hand, hüpfte auf das federnde Gras und fiel über die Kante. Sie beugte sich vor und sah das Glas an einem Felsen in weißes, gischtgleiches Pulver zerbersten. Aus ihrem Käfig befreit schien die Rose auf einem warmen Luftstrom gen Himmel zu treiben. Die purpurroten Blütenblätter öffneten sich blass im Mondlicht, schwebten dann langsam wieder hinab und wurden schließlich von einer Welle hinaus aufs Meer getragen.
     
     

* Nachwort
    8. September 1987
     
    Küstenstraße Whitby-Staithes. Welliges Ackerland, ein Mosaik aus von Hecken umgebenen Feldern (auch Weiden mit grasenden Kühen), manche hellbraun nach der Ernte, andere voll goldener Gerste. Endet abrupt an den Klippen, rosarote Gesteinsschichten, das Meer ein klares Hellblau, die Sonne glitzert auf entfernten Schiffen. Ein Schwarm Seemöwen auf einem rotbraunen Feld. Baumgruppen in Erdmulden. Kleine Dörfer, die Häuser aus hellem Stein, rote Schindeldächer: ... Bei der Ankunft um 11:15 Uhr Anfang September in dem kleinen Küstenort fasste sie ihren Entschluss:
      Das waren die bescheidenen Ursprünge von Das stumme Lied, entdecke ich, als ich in meinem Notizbuch von August 1987 bis März 1988 nachschaue. Ich schrieb das Buch damals nach meinen ersten vier Inspector-Banks-Romanen. Ich erinnere mich, dass ich eine Veränderung brauchte, einen Roman, in dem die Polizei nur eine Nebenrolle spielte. Seit ich von dem Yorkshire Ripper gelesen hatte, hatte ich die Idee für eine Geschichte über einen Menschen gehabt, der den Angriff eines Serienmörders überlebt und sich auf einen Rachefeldzug begibt.
      Wie es solche Dinge häufig tun, lag die Idee brach bis zu einem Tag im September 1987, als wir kurz vor dem oben beschriebenen Ausflug nach Staithes, bei dem sich der ursprüngliche Beginn offenbarte, den Berg hinab nach Whitby fuhren. Unten breitete sich die Stadt aus. Die Farben erschienen irgendwie heller und voller als in meiner Erinnerung: die Grün- und Blautöne der Nordsee, die roten Schindeldächer. Dann gab es die dramatische Umgebung mit dem wie eine Hummerschere aussehenden Hafen und den beiden gegenüberliegenden Klippen, auf der einen eine Kirche und eine Abteiruine, auf der anderen die Statue von Captain Cook und der gewaltige Kieferknochen eines Wales. Ich wusste sofort, dass die Geschichte hier spielen musste und dass sie mit einer Frau beginnen sollte, die aus dem Bus steigt, der ein bisschen übel von der Reise ist und die probiert, ob der Ort ihr passt.
      Als der Roman wieder zum Leben erweckt werden sollte, spielte ich mit der Idee, ihn umzuschreiben und der Zeit anzupassen. Ist es nicht schließlich der Traum eines jeden Schriftstellers, Jahre später die Möglichkeit zu haben, etwas zu verbessern, was man zu Beginn seiner Karriere geschrieben hat? Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht funktionieren würde. Die Welt hatte sich seit 1987 zu sehr verändert und die Ereignisse in Das stumme Lied könnten nicht in einer Welt mit Mobiltelefonen, E-Mail, einem McDonald's oder Pizza Hut an jeder Ecke und den neusten Methoden der DNA-Analyse geschehen. Zwar gab es schon damals den genetischen Fingerabdruck,
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