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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier
Autoren: Philip Roth
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Maisonettewohnung, und sie sehen meine große Bibliothek, die vielen beidseitig zugänglichen Bücherregale, die die Lektüre eines ganzen Lebens enthalten und beinahe das gesamte untere Zimmer einnehmen, sie sehen meinen Flügel, sie sehen meine Hingabe an das, was ich tue, und sie bleiben.
    Es gab ein Jahr, da war meine komischste Studentin wie das Geißlein im Märchen, das sich in der Uhr versteckte. Ich warf die letzten Gäste um zwei Uhr morgens hinaus, und während sie sich verabschiedeten, bemerkte ich, daß eine Studentin fehlte. »Wo ist unser Clown, wo ist Prosperos Tochter?« sagte ich. »Ach, ich glaube, Miranda ist schon gegangen«, antwortete jemand. Ich ging wieder hinein und begann aufzuräumen, als ich hörte, daß oben eine Tür geschlossen wurde. Die Tür zum Badezimmer. Und Miranda kam die Treppe hinunter, lachend, strahlend, mit einer Art naiver Ausgelassenheit - bis zu diesem Augenblick war mir nicht aufgefallen, wie hübsch sie war -, und sagte: »Hab ich das nicht schlau angestellt? Ich hab mich da oben auf der Toilette versteckt, und jetzt werde ich mit dir schlafen.«
    Sie war ein kleines Persönchen, nicht größer als eins fünfundfünfzig, und sie zog den Pullover aus und zeigte mir ihre Brüste, sie enthüllte den jungen Körper einer Balthus-Jungfrau, die im Begriff ist zu sündigen, und selbstverständlich schliefen wir miteinander. Wie ein junges Mädchen, das dem gefährlichen Melodram eines Balthus-Gemäldes entkommen ist und Zuflucht gefunden hat in der Unbeschwertheit der Seminarparty, hatte Miranda den ganzen Abend auf allen vieren, den Hintern hochgereckt, auf dem Boden gehockt oder hingestreckt in einer Haltung der Hilflosigkeit auf meinem Sofa gelegen oder sich, die Beine über die Lehne gelegt, fröhlich auf einem Sessel drapiert, scheinbar ohne zu merken, daß sie, weil ihr Rock hochgerutscht war und sie die Oberschenkel schamlos gespreizt hatte, etwas von einem Balthusschen Mädchen umgab: vollständig bekleidet und doch halbnackt. Alles verhüllt und nichts verborgen. Viele dieser Frauen haben bereits mit Vierzehn sexuelle Erfahrungen gemacht, und nun, in den Zwanzigern, gibt es immer ein oder zwei, die neugierig sind, wie es wohl mit einem Mann meines Alters sein mag - und sei es nur ein einziges Mal -, und die daraufbrennen, es am nächsten Tag all ihren Freundinnen zu erzählen, die dann das Gesicht verziehen und fragen: »Aber seine Haut? Hat er nicht komisch gerochen? Und seine langen weißen Haare? Seine Wamme? Sein Schmerbauch? Ist dir nicht schlecht geworden?«
    Danach sagte Miranda: »Du hast bestimmt mit Hunderten von Frauen geschlafen. Ich wollte wissen, wie das ist.« »Und?« Und dann sagte sie Dinge, die ich nicht ganz glauben konnte, aber das machte nichts. Sie war kühn gewesen - sie hatte gesehen, daß sie es schaffen würde, so abenteuerlustig und aufgeregt sie auch gewesen sein mochte, als sie sich im Badezimmer versteckt hatte. Sie hatte entdeckt, wie mutig sie war, als sie sich dieser ungewohnten Situation gestellt hatte, und daß sie ihre anfänglichen Ängste und ihre etwaige anfängliche Abscheu überwinden konnte, und ich erlebte - was diese Situation betrifft - eine ganz wunderbare Nacht. Eine sich rekelnde, kaspernde, spielerische Miranda, die, ihre Unterwäsche zu ihren Füßen, posierte. Schon das Vergnügen, sie anzusehen, war herrlich. Auch wenn das keineswegs das einzige Vergnügen war. In den Jahrzehnten seit den Sechzigern hat eine bemerkenswerte Vollendung der sexuellen Revolution stattgefunden. Diese neue Generation hat erstaunliche Fellatorinnen hervorgebracht. Etwas wie sie hat es unter jungen Frauen ihrer Klasse nie zuvor gegeben.
     
Consuela Castillo.
    Ich sah sie und war ungeheuer beeindruckt von ihrer Haltung. Sie wußte, was ihr Körper wert war. Sie wußte, was sie war. Sie wußte auch, daß sie niemals in die Welt der Kultur passen würde, in der ich lebte: Kultur war etwas, was sie blendete, nicht aber etwas, mit dem sie leben konnte. Sie kam also zu meiner Party - ich hatte befürchtet, sie werde vielleicht nicht kommen - und war mir gegenüber zum erstenmal aufgeschlossen. Da ich unsicher gewesen war, wie weit ihre Sachlichkeit und Zurückhaltung ging, hatte ich es während der Seminarsitzungen und bei ihren zwei Besuchen in meinem Büro, wo wir über ihre schriftliche Arbeit sprachen, sorgfältig vermieden, irgendein besonderes Interesse an ihr zu offenbaren. Auch sie war bei diesen Gesprächen stets sehr respektvoll und
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