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Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen

Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen

Titel: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen
Autoren: Jeanne Ryan
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und griff in seine Hosentasche. » Komm her und sei ein bisschen kooperativ. Wir könnten ein Video drehen, das sonst keiner hat, und uns tausend Bonuspunkte sichern. «
    Bonuspunkte? Dann war er also einer der persönlichen Beobachter, die Videos von den Spielern machten, um sich den Respekt der anderen Beobachter zu verdienen, der sich in Form von Stimmen beziehungsweise Bonuspunkten ausdrückte. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, ihre Angst zu messen, dann hätte der Kerl den Jackpot geknackt. Aber würde er auch noch einen Schritt weiter gehen?
    Bei dem Gedanken schnürte sich ihre Kehle zu. Tief Luft holen und sich auf einen Ausweg konzentrieren, ermahnte sie sich.
    Der Mann legte den Kopf schief, als würde er über Beleuchtung und Bildausschnitt nachdenken. Wollte er tatsächlich nur eine Aufnahme von ihr machen? Ihr stockte der Atem, als er langsam die Hand aus der Tasche nahm. Irgendwie fand sie es merkwürdig, dass ihr Leben nicht blitzschnell vor ihrem inneren Auge vorbeizog. Stattdessen erinnerte sie sich an einen Film, den sie in der achten Klasse in der Schule gesehen hatte: Die Dame oder der Tiger? Sie hatte sich damals darüber geärgert, dass der Film den Zuschauer am Schluss im Unklaren ließ. Warum hatte sich der Regisseur nicht einfach für ein Ende entscheiden können?
    Und jetzt stand ein Fremder vor ihr, der entweder eine Kamera oder eine Waffe aus der Tasche ziehen würde, je nachdem, ob er ein Bild von ihr schießen oder sie erschießen wollte. Mit einem Schluchzer registrierte sie, dass ihr die zweite Möglichkeit beinahe lieber gewesen wäre, nur damit dieser Horror, zu dem ihr reales Leben geworden war, endlich ein Ende hatte.
    Seine rechte Hand kam zum Vorschein und mit ihr eine schwarze Kompaktkamera, die wie ein hübscher kleiner Käfer glänzte. Sie stieß den Atem aus und unterdrückte ein weiteres Schluchzen. Also doch nur ein Foto. Vielleicht brachte sie, wenn sie sich anstrengte, tatsächlich ein Lächeln zustande, und das hier wäre vorbei. Dann könnte sie den Weg zurückhetzen, nach Hause fahren und sich den Rest des Tages in ihrem Zimmer verstecken. Oder auch noch länger. Irgendwann würden die Beobachter das Interesse an ihr verlieren, spätestens wenn eine neue Runde mit neuen Spielern begann.
    » Und jetzt bitte hübsch lächeln! « , sagte der Mann.
    Sie starrte ihn an und versuchte, die Mundwinkel zu heben. Eine Schweißperle lief ihr über die Schläfe, gefolgt von einer weiteren. Noch ein paar Sekunden, dann war es vorbei.
    Klick.
    Sie atmete auf. Okay, wenn es das war, was er gewollt hatte, gut. Na ja, nicht gut, aber erträglich.
    Doch dann griff der Mann mit schiefem Grinsen in seine andere Tasche.

EINS
    Ich bin das Mädchen hinter dem Vorhang. Im wahrsten Sinn des Wortes. Und wenn ich diesen Vorhang für den zweiten Akt aufgezogen habe, dann muss ich vierzig Minuten totschlagen, in denen keine Kostümwechsel anstehen oder Masken gemacht werden, es sei denn, einer der Schauspieler muss schnell nachgeschminkt werden. Ich hole tief Luft. Für einen Premierenabend ist bislang alles sehr glatt verlaufen, was mich leicht beunruhigt. Normalerweise geht bei der ersten Aufführung immer etwas schief. Das ist Tradition.
    Ich überlege, ob ich in die Mädchengarderobe gehen soll, in der über Jungen getuschelt wird, oder lieber im Gang stehen bleibe, wo ich tatsächlich einen Jungen treffen könnte. Einen ganz bestimmten, um genau zu sein. Da sein Stichwort in zehn Minuten fällt, entscheide ich mich für den Gang und hole mein Handy heraus, auch wenn Ms Santana, die Leiterin unseres Theaterkurses, uns unter Androhung der Todesstrafe verboten hat, es während der Vorstellung einzuschalten.
    Nichts Neues auf meiner ThisIsMe-Seite. Das ist nicht verwunderlich, da die meisten meiner Freunde im Stück mitspielen oder im Publikum sitzen. Ich poste eine Meldung:
    Es gibt noch ein paar Tickets für die nächsten beiden Vorstellungen. Also, wenn ihr nicht schon eins habt: Kauft es jetzt!
    So, damit habe ich meine Bürgerpflicht getan.
    Zusammen mit der Nachricht lade ich ein Bild von mir und meiner besten Freundin Sydney hoch, dem Star des Stücks, das ich vor der Vorstellung aufgenommen habe. Das Foto sieht ein bisschen so aus wie aus einem dieser Kinderbücher, in dem Kleinkindern der Unterschied zwischen Extremen wie groß und klein erklärt wird: sie, die goldene Hollywood-Barbie, neben mir, der altmodischen Stoffpuppe, blass, mit dunkelbraunen Haaren und blauen Augen, die viel zu
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