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Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen

Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen

Titel: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen
Autoren: Jeanne Ryan
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gehen würde, um sich genau diese Zeitschrift anzusehen? Und nachdem sie hektisch jede andere Zeitschrift im Regal durchgeblättert hatte, um nachzusehen, ob darin auch irgendeine Nachricht versteckt war, hatte sie den Zettel nicht mehr wiedergefunden, so als sei er nie da gewesen. Wahrscheinlich hatte ihn einer der Unbekannten gestohlen, die jeden ihrer Schritte überwachten. Das war das Schlimmste: nicht zu wissen, wie ihre Feinde aussahen, während ihr eigenes Foto allen zur Verfügung stand wie eine perverse Art Sammelbild.
    Jetzt gesellte sich ein Pfeifen zu den Schritten. Selbst sie mit ihrer blühenden Fantasie konnte sich nicht vorstellen, dass es ein Tier gab, das » Somewhere over the Rainbow « pfeifen konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie versuchte sich weiter einzureden, dass es einfach nur ein gut gelaunter Wanderer war.
    Die Schritte hielten inne. Sie duckte sich tiefer zwischen die Blätter, als es in den Zweigen in der Nähe knackte.
    » Ich weiß, dass du hier bist « , sagte eine dunkle Stimme.
    Ihre Eingeweide schienen sich zu verflüssigen. Sie presste sich an den Baumstamm hinter ihr und wünschte sich, sie wäre hinaufgeklettert. Meilenweit war niemand in der Nähe, und ein kurzer Blick auf ihr Handy zeigte ihr, dass sie keinen Empfang hatte. Das passte. Zurzeit brachte ihr das Handy nur schlechte Nachrichten und Pech.
    Plötzlich teilten sich die Zweige des Rhododendrons und gaben den Blick auf einen Mann mit dem Gesicht eines Pitbulls frei, dessen Atem nach gebratenem Speck roch. Oh Gott, da war es ja noch besser gewesen, nicht zu wissen, wie ihre Peiniger aussahen! Dieses Gesicht würde für den Rest ihres Lebens– wie lang auch immer es noch dauern mochte– eine Hauptrolle in ihren Albträumen spielen.
    Fleischige Hände schoben die Zweige weiter auseinander.
    » Komm raus, Süße, dann haben wir beide es wesentlich einfacher. «
    Ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Die furchtbare Angst, die sich in ihrem Bauch zusammenballte, war schlimmer als die, die sie in der letzten Phase des Spiels gespürt hatte, als sie in dem Raum voller Schlangen gewesen war. Damals hatte sie geglaubt, sie könnte keine größere Angst haben.
    Trotz des wilden Hämmerns in ihrer Brust fand sie irgendwie die Kraft zu sagen: » Lass mich in Ruhe, du Arsch! «
    Er fuhr zurück. » Es gibt keinen Grund, unfreundlich zu sein. Ich war einer deiner größten Bewunderer. «
    Ihr Blick glitt durchs Unterholz. Nur in einer Richtung gab es einen Hauch Hoffnung. Mit einem Satz hechtete sie auf den Teil des Gebüschs zu, der am wenigsten dicht war. Trotzdem gab es noch genug Zweige, die ihr die Arme zerkratzten, als sie sich hindurchzwängte und auf den Pfad rannte. Dummerweise verstellte ihr der Mann den Rückweg zu ihrem Auto, weshalb sie nur weiter in das Waldgebiet laufen konnte.
    Sie rannte los, gefolgt von den Schritten hinter ihr. Bald übertönte das Rauschen des Wasserfalls, der ihr Gesicht auf dem Weg zur Aussichtsplattform mit feinen Tröpfchen besprühte, alle anderen Geräusche. Der einzige Weg von dort aus führte über einen steilen, felsigen Abhang mit vom Moos glitschigen Steinen.
    Hinter ihr erklang ein schrilles Pfeifen, das das tosende Wasser übertönte. Sie drehte sich zu dem Mann um, in dessen Hosentaschen sich unförmige Gegenstände beulten, die sie unwillkürlich an die Tatwaffen aus Cluedo denken ließen. Nicht dass der Kerl einen Kerzenleuchter oder ein Messer gebraucht hätte: Seine Arme waren so dick wie die Baumstämme neben ihm. Was wollte er? War er ein durchgedrehter Fan, der sie dafür bestrafen wollte, dass sie gestern Abend die » Aftershow « -Sendung mit den anderen Spielern nicht mitgemacht hatte? Die Hand entsetzt vor den Mund gepresst, hatte sie zugesehen, wie ihre Mitspieler Witze gerissen und gelacht hatten, obwohl ihre Mundwinkel verdächtig zuckten und sie dunkle Ringe unter den Augen gehabt hatten. Nach der Sendung hatte kein Einziger von ihnen auf ihre SMS geantwortet, als ob es gefährlicher wäre, etwas mit ihr zu tun zu haben als mit denen, die sie verfolgten. Das war alles so krank. Als sie sich letzten Monat bereit erklärt hatte, mitzuspielen, hatte niemand etwas von späterer Videoauswertung oder von Stalkern erzählt.
    Sie kletterte über das schiefe Geländer der Plattform und klammerte sich an dem glitschigen Metall fest. Würde sie es zum Fluss runterschaffen, ohne sich das Genick zu brechen?
    » Jetzt stell dich nicht so an, Abigail « , rief der Mann
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