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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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von Kapell seit Jahren betreute, sondern auch als unabhängiger Mediziner mit reichlicher Sektionserfahrung. Zum Glück sparte er die jüngste Kamelgeschichte aus ... Von Schlechtendal akzeptierte ohne großes Überlegen.
    »Das erspart uns die Mühe, die Leiche nach Potsdam transportieren zu müssen«, sagte er.
    Unter allen preußischen Kriminalisten, die ich kennengelernt, war dieser in Jugend bereits ergraute Mann der am langsamsten sprechende (und noch langsamer denkende, dachte ich, als ich seine träge Stimme hörte ...). Er sah ältlich hohlwangig und knochig aus, dabei zählte er doch erst 42 Jahre. Die Mühsal und nagende Spur eines allmählichen Aufstiegs im Froschglas der Amtskarriere standen ihm sichtbar im quappenartigen Gesicht.
    Doch nun befand er sich ja wohl am Ziel seines Weges, vermutete ich, welches bei uns allen mit dem Erreichen der eigenen Inkompetenz in eins fällt, wie schon Aristoteles sagte. Schlechtendal wusste wohl, wer Jérôme und ich waren – Bekannte der Königin und des Königs –, und hatte wohl von meinen Einlassungen in brisante Kriminalfälle der Vergangenheit reden hören, weshalb er sich im Ausdruck, so schien es, zwischen Entsetzen und Missmut schwer entscheiden konnte.
    »Sehr ... erfreut, Marquise! Ist es nicht erstaunlich? Ein Mord vor Ihrer Haustür«, sagte er mit einem Phlegma, das allein ausgereicht hätte, mich – hätte ich länger in seiner Gegenwart zubringen müssen – ergrauen zu lassen. »Das muss Sie doch freuen!«
    »Es ist also Mord?«, fragte ich, beinahe erschüttert von dieser so ganz unamtlichen Offenherzigkeit. »Ich habe nicht erwartet, dass Sie solche Auskünfte freimütig hergeben! Im Übrigen freue ich mich des Verbrechens keineswegs. Ich frohlocke nur, wenn die staatlichen oder Polizeiorgane meine Bemühungen hin und wieder durch kluges eigenes Handeln unterstützen.«
    Sein Vorgänger wäre bei dieser Unverschämtheit explodiert. Er dagegen schmunzelte und meinte phlegmatischer noch als zuvor:
    »Ich habe von Ihrer geheimen Profession gehört ...«
    Munter und ohne viel Gehalt in meiner Rede schoss ich weiter drein:
    »Kann also so geheim nicht sein.«
    Während ich mich fragte, wie es ein Mann mit seiner geistigen Konstitution auf einen der höchsten Posten im Polizeiwesen geschafft hatte, machte er seine enervierende Langsamkeit wieder ein bisschen wett mit der Replik:
    »Warum sollte ich Ihnen mit dem Verschweigen des Offensichtlichen zur Last fallen? Ein jeder von uns will ja seine kostbare Zeit nicht mit Überflüssigem verschwenden. Was hätten wir denn davon? Nach dem, was ich aus den Akten des Bastion-Falles weiß, werden Sie sich auch hier einmischen, daher sehe ich keine Veranlassung, mit dieser Einschätzung lange hinterm Berg zu halten.«
    Fast perplex über dieses generöse Entgegenkommen, fragte ich:
    »Was denken Sie, wird Polizeipräsident Gruner zu dieser Tolerierung meiner – eingestandenermaßen vorhandenen – Neugier sagen?«
    Innerlich wurde mir beinahe übel, so nahe kam dieser Dialog dem von mir schon immer verhassten Süßholzraspeln. Von Schlechtendal schien jedoch ganz Herr der Lage zu sein und ich revidierte meine Meinung über ihn schlagartig, als er zu mir sagte:
    »Er müsste mich wohl meines Postens entheben, so viel ist gewiss! Doch ich bin zu sehr Praktiker, um mich falschen Hoffnungen hinzugeben. Auch wäre ich der Letzte, verehrte Marquise, der sich über echte Hilfestellungen nicht freute. Aber ich appelliere an Ihre Großherzigkeit: Bitte adressieren Sie etwaige Einlassungen unter tunlichster Umgehung und Unterschlagung meiner Wenigkeit unmittelbar an den Polizeipräsidenten! Wenn Sie so vorgehen, wird mir nichts geschehen ...«
    Zu gerührt, um ihm diese Bitte abzuschlagen, gab ich ihm sogar mein Wort darauf. Auch seinen Rat, mich möglichst bedeckt zu halten, bis ich mir meiner Sache völlig sicher wäre, mochte ich gerne beherzigen, diente eine derartige Zurückhaltung ja nur meiner Glaubwürdigkeit.
    Ich hoffe sehr, dem heutigen Chefpräsidenten des Oberlandesgerichts Paderborn, denn zu solcher Höhe gelangte Monsieur Schlechtendal bald nach seinen Berliner Jahren, keinen Bärendienst zu erweisen, wenn ich seine damalige Kulanz gegen mich – mir als Privatperson den Anfang meiner eigenmächtigen Nachforschungen zu erleichtern – heute so unverblümt öffentlich mache. Letzten Endes war sein Vertrauen in meine Fähigkeiten nicht ganz so gerechtfertigt und man hätte ihn zweifelsohne deswegen
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