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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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Ruhe und ich muss gestehen, dass ich fast kein Auge zutat, aus Furcht, der Professor de Maizière könnte mich in schwerem Traum mit lauter falschen Namen ansprechen. Heim dagegen, der bei uns übernachtete, schien wohl geruht zu haben und schickte sich gerade an, sein Havelländisches Kreisphysikus-Tagwerk zu beginnen, als wäre nichts geschehen. Zuvor jedoch hatte er uns zum Frühstück noch unangenehm detailreich von der Sektion eines trächtigen Kamels in der Tierarzneischule erzählt.
    Eben als wir einander zum Abschied in den Armen lagen, stürmte ein kleines Mädchen – die Tochter von Sophie und Franz Metzler – in unsere Küche und rief lauthals:
    »Der Monsieur von Kapell in Deetz hat keinen Kopf mehr!«

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    Die kleine Metzler hatte diese seltsame Tatsache beim Havelfischer Roth erfahren, einem wettergegerbten Mann, der selbst bei tiefsten Temperaturen noch den Strom befuhr, um seinen Fang zu verkaufen. In einem alten roten Kahn, der schon mehrere Generationen Roths sicher durch die Fluten getragen hatte, schipperte er von Ketzin aus havelabwärts. Mitunter fuhr er bis nach Brandenburg hinein. Seine Kundschaft nahm oft weite Wege aus den Dörfchen hüben und drüben in Kauf. Aus Zachow, Deetz, Kanzow, Saaringen und Klein Kreuz kamen sie zum Ufer, wenn sie seine helle, weithin tönende Glocke hörten.
    Für die Nachrichten, die er mitbrachte, hatte er schon so manchen Zander zusätzlich verkauft, weshalb er mit malerischen und oft abenteuerlichen Ausschmückungen nicht geizte. Wir nahmen den fehlenden Kopf des Herrn von Kapell daher erst als eine eigentümliche neue Sumpfblüte von Anglerlatein, für das der liebe Roth nun einmal bekannt war, und lachten herzlich.
    Doch unsere Wirtschafterin Anna, die bei ihm eingekauft und inzwischen auch mit ihrer eisigen Fracht angelangt war, hatte Roth ganz deutlich von einem schrecklichen Vorfall bei den von Kappells erzählen hören. Dem Hausherrn fehle der Kopf. In der Nacht habe er ihn verloren und jetzt sei die Polizei aus Potsdam da und habe nach ihm gesucht und ihn doch nicht gefunden ... Mehr herauszukriegen war weder aus ihr noch aus der kleinen Metzler. Und der Roth? Der war schon weiter stromab.
    Schon immer galt für mich der bekannte lateinische Sinnspruch credo, quia abdurdum: Ich glaube, was mir abstrus genug erscheint. Noch am Vorabend hatten wir über das Köpfen gesprochen. Der erklärte Fachmann für diese Tötungsart saß vor uns in seiner klapprigen Kalesche. Hätte Commissär Zufall es besser einrichten können, als dass wir nun binnen Tagesfrist von der Theorie zur Praxis schritten? Meine Leserinnen werden somit ohne langatmige Erklärungen verstehen, dass es keine halbe Stunde dauerte, bis Jérôme und ich in Heims Gefolge die Zufahrt zum Gut Ludwigienau entlangrollten.
    Einige Polizeipferde und eine Kutsche mit dem Wappen des Herrn von Schlechtendal standen vor dem Eingang des stattlichen dreigeschossigen Gutshauses mit seinem geschwungenen Walmdach, seinen roten Ziegeln und gekalkten Wänden. Schlechtendal rangierte als künftiger Kriminaldirektor unmittelbar unter dem Präsidenten Karl Justus Gruner, der zur besseren Kriminalitätsbekämpfung den Polizeibezirk Berlin um naheliegende Kreise der Mittelmark erweitert hatte. Ich war keinem von beiden bis dato begegnet, doch meine früheren Bestrebungen, der Verbrechensaufklärung eine Lanze zu brechen, hatten mich bekannter gemacht, als ich ahnte.
    Die Mienen der Kapell’schen Bedienten, die ihre Köpfe wie zu einer Verschwörung zusammengesteckt hatten, als wir uns näherten, sagten alles. Kutscher, Kammerdiener und Wirtschafterin empfingen uns verwirrt. Der Kammerdiener bedauerte, dass die Herrschaft unpässlich sei – es habe einen Todesfall gegeben. Die Wirtschafterin ergänzte, dass die gnädige Frau uns nicht empfangen könne – was immerhin hoffen ließ, dass sie am Leben und unversehrt war. Der Kutscher katzbuckelte und zog wie verrückt seinen Hut. Im Abgang stolperte er über einen Besen, der unversehens in seinem Weg lag. Der Diener klaubte ihn eilig vom Boden und raste damit in einen Schuppen.
    Da erschien der leitende Beamte auf der Bildfläche! Dietrich Friedrich Karl von Schlechtendal trat aus der Halle, begrüßte erst mich, dann Jérôme und Doktor Heim. Dieser referierte die diffusen Nachrichten, die wir gehört, und bot den ermittelnden Polizeiorganen seinen ärztlichen Gutachterblick an – nicht allein als Kreisphysikus des Havellandes, in welcher Funktion er die Familie
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