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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Ihr gesundes, fast schwarzes Auge traf eine Sekunde lang Marnets Gesicht und wurde ein wenig starr. Ihm war es, sie hätte mit einem Blick tief in ihn hineingesehen, bis zu der Stelle, die er sogar vor sich selber verschloß. Und das Gehupe der Feuerwehr auf der Mainseite, das verrückte grelle Karbidlicht, das Geschimpfe der Menschen, die ein Lastauto gegen die Mauer quetschte, war er an all das noch immer nicht gewöhnt, oder war es heut anders als sonst? Er suchte nach einem Wort oder einem Blick, den er danach auslegen konnte. Er war vom Fahrrad abgestiegen und schob es. Er hatte im Gedränge längst beide verloren. Greiner und das Mädchen.
     
    Greiner stieß noch einmal zu ihm. »Drüben bei Oppenheim«, sagte ihm Greiner über die Schulter; er mußte sich dabei so stark seitlich beugen, daß ihm das Rad fast weggerissen wurde. Sie hatten weit auseinanderliegende Eingänge. War die erste Kontrollstelle passiert, dann konnten sie sich auf Stunden nicht wiedersehen.
     
    Marnet witterte und lauerte, aber weder im Umkleideraum noch im Hof, noch auf der Treppe konnte er irgendeine Spur, irgendein noch so geringes Zeichen einer anderen Erregung finden als der gewöhnlichen alltäglichen, zwischen dem zweiten und dritten Sirenenzeichen, nur daß es etwas unordentlicher herging, etwas mehr krakeelt wurde – wie jeden Montagmorgen. Franz selbst, während er ganz verzweifelt nach einem noch so geringen Anzeichen einer noch so verschütteten Unruhe suchte, zwischen den Worten und selbst in den Augen, schimpfte genauso wie alle anderen, stellte dieselben Fragen nach dem vergangenen Sonntag, machte dieselben Witze, dieselben zornigen harten Griffe beim Umkleiden. Wenn ihn jetzt jemand belauert hätte mit der gleichen Beharrlichkeit wie er die anderen, dieser andere wäre genauso enttäuscht über Franz gewesen. Franz bekam sogar einen Stich von Haß gegen alle diese Menschen, die überhaupt nicht merkten, daß irgend etwas in der Luft lag, oder es gar nicht merken wollten. War überhaupt etwas geschehen? Greiners Erzählungen waren meistens das reine Getratsche. Falls ihn sein Vetter Messer nicht anhielt, bei ihm, Franz, herumzuschnüffeln. Hat er mir denn was anmerken können, dachte Franz. Was hat er denn überhaupt erzählt? Tratsch und nochmals Tratsch. Daß dieser Kobisch sich beim Weinhandel angesoffen hat.
     
    Mit dem letzten Sirenenzeichen rissen seine Gedanken ab. Da er erst kurz im Betrieb war, empfand er immer noch vor dem Arbeitsbeginn eine große Gespanntheit, fast Angst. Und das Anschnurren der Riemen zitterte ihm bis in die Haarwurzeln. Jetzt hatte der Riemen schon ein helles, endgültiges Surren. Franz hatte seinen ersten, zweiten, fünfzigsten Griff längst hinter sich, sein Hemd war durchgeschwitzt. Er atmete leicht auf. Seine Gedanken verknüpften sich wieder, wenn auch nur locker, weil er haargenau ausstanzte. Franz hätte nie anders gekonnt als genau arbeiten, mochte auch der Teufel sein Arbeitgeber sein.
     
    Sie waren hier oben fünfundzwanzig. Wartete Franz auch hier in der Stanzerei gequält auf ein Zeichen von Erregung, es hätte ihn seiner Natur gemäß doch auch heute verdrossen, wenn von seinen Schablonen eine ungenau ausgefallen wäre. Nicht nur wegen der Beanstandung, die ihm schaden konnte, sondern einfach wegen der Schablonen selbst, die genau sein mußten, selbst heute. Dabei dachte er: Oppenheim hat der Anton gesagt, das ist doch das Städtchen zwischen Mainz und Worms. Was soll denn ausgerechnet dort Besonderes passieren?
     
    Fritz Greiner, der Vetter Anton Greiners, zugleich hier oben sein Vorarbeiter, trat kurz neben ihn, trat zum nächsten. Wenn er sein Motorrad eingestellt, seine Tracht im Spind hatte, war er ein Stanzer unter Stanzern. Bis auf den vielleicht auch nur für Franz spürbaren Beiklang in seiner Stimme, als er Weigand rief. Weigand war ein älteres, haariges Männchen, mit dem Spitznamen Holzklötzchen. Jetzt war es gut, daß sein Stimmchen so hell und dünn schnurrte wie der Riemen. Wie es den Abfallstaub aufsaugte, sagte es, ohne den Mund zu bewegen: »Weißt du schon, im KZ? In Westhofen.« Franz sah von oben herunter in den klaren, fast reinen Augen des Holzklötzchens jene winzigen hellen Pünktchen, auf die er so furchtbar gewartet hatte: als brenne tief im Menschen ein Feuer und als sprühten nur die letzten Fünkchen aus den Augen heraus. Franz dachte: endlich. Das Holzklötzchen war schon beim nächsten.
     
    Franz verschob behutsam sein Stück, setzte auf
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