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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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allein fuhr und nicht gern in das dicke Rudel Radfahrer geriet, das aus den Taunusdörfern jeden Morgen nach den Höchster Farbwerken fuhr. Darum verdroß es ihn etwas, daß einer seiner Bekannten, Anton Greiner aus Butzbach, an dem Selterwasserhäuschen auf ihn wartete.
     
    Sofort war die starke, einfache Lebensfreude aus seinem Gesicht verschwunden. Es wurde gleichsam eng und trocken. Denselben Franz, der vielleicht bereit war, sein ganzes Leben ohne Wenn und Aber herzugeben, verdroß es auch, daß Anton Greiner nie an diesem Häuschen vorbeifahren konnte, ohne etwas springen zu lassen, da er ein nettes, treues Mädel in Höchst hatte, dem er nachher das Schokoladentäfelchen oder das Tütchen Drops zustecken würde. Greiner stand schräg, so daß er den Feldweg im Auge hatte. Was ist denn heut mit ihm los? dachte Franz, der mit der Zeit ein feines Gefühl für den Ausdruck von Gesichtern bekommen hatte. Er merkte jetzt, daß ihn Greiner aus einem bestimmten Grund ungeduldig erwartete. Greiner sprang aufsein Rad und schloß sich Franz an. Sie beeilten sich, um nicht in das Rudel hineinzukommen, das immer dichter wurde, je mehr es bergab ging.
    Greiner sagte: »Du, Marnet, heut früh ist was passiert.«
     
    »Wo? Was?« sagte Franz. Immer, wenn man bei ihm Überraschung vermutete, bekam sein Gesicht einen Ausdruck schläfriger Gleichgültigkeit.
     
    »Marnet«, sagte Greiner. »Heut früh muß was passiert sein.«
     
    »Was schon?«
     
    »Weiß ich doch nicht«, sagte Greiner, »aber passiert ist sicher was.«
     
    Franz sagte: »Ach, du spinnst. Was soll denn schon passiert sein, so früh am Tag.«
     
    »Weiß ich doch nicht, was. Aber wenn ich’s dir sag, kannst du Gift daraufnehmen. Etwas ganz Verrücktes muß passiert sein. So was wie am 30. Juni.«
     
    »Ach, du spinnst ja …«
     
    Franz starrte geradeaus. Wie der Nebel da unten noch dick war! Rasch kam ihnen die Ebene entgegen mit Fabriken und Straßen. Um sie herum ein Gefluch und Geklingel. – Einmal wurden sie in zwei Rudel auseinandergerissen, motorisierte SS, Heinrich und Friedrich Messer aus Butzbach, Greiners Vettern, die auch zur Schicht fuhren.
     
    »Nehmen die dich nicht mit?« fragte Franz, als sei er auf Antons Bericht nicht weiter neugierig.
     
    »Dürfen die gar nicht, die haben nachher Dienst. Also, du meinst, ich spinne …«
     
    »Aber wieso kommst du denn drauf…«
     
    »Weil ich spinne. Also: Meine Mutter, die muß doch heut wegen der Erbschaft nach Frankfurt zum Rechtsanwalt. Und da ist sie mit ihrer Milch zur Kobisch rüber, weil sie zur Milchablieferung nicht dasein kann. Und der junge Kobisch, der war gestern in Mainz, da bestellt er selbst seinen Wein für die Wirtschaft. Da haben sie gesoffen, und es ist spät geworden, und er hat erst heut ganz früh heimgemacht, da ist er nicht durchgelassen worden bei Gustavsburg.«
     
    »Ach, Anton.«
     
    »Was? Ach?«
     
    »Da ist doch längst gesperrt, bei Gustavsburg.«
     
    »Franz, der Kobisch ist doch nicht auf den Kopf gefallen. Da wäre eine scharfe Kontrolle gewesen, hat der Kobisch gesagt, und Posten auf den Brückenköpfen und dabei ein Nebel. Bevor ich da einen anremple, hat der Kobisch gesagt, und man macht mir die Blutprobe und ich hab Alkohol und adjö mein Führerschein, da setz ich mich lieber zurück ins Goldne Lämmchen in Waisenau und trink noch einen Schoppen.«
     
    Marnet lachte.
     
    »Franz, lach nur. Meinst du, sie hätten ihn zurückgelassen nach Waisenau? Die Brücke war gesperrt. Wenn ich’s dir sag, Franz, etwas liegt in der Luft.«
     
    Sie hatten die Abfahrt hinter sich. Rechts und links war die Ebene kahl bis auf die Rübenfelder. Was sollte in der Luft liegen? Nichts als der goldene Sonnenstaub, der über den Häusern von Höchst ergraute und zu Asche wurde. Franz kam es trotzdem vor, ja, er wußte plötzlich, daß Anton Greiner recht hatte. Etwas lag in der Luft.
     
    Sie klingelten sich durch die engen vollen Straßen. Die Mädchen kreischten und schimpften. An den Straßenkreuzungen, an den Werkeingängen gab es einzelne Karbidlampen, die man zufällig heut, vielleicht wegen des Nebels, zum erstenmal ausprobierte. Ihr hartes und weißes Licht vergipste alle Gesichter. Franz streifte ein Mädchen, das wütend knurrte und den Kopf nach ihm drehte. Es hatte über das linke, dünne, durch einen Unfall entstellte Auge ein Haarbüschel gezogen, sehr in Eile, denn wie ein Fähnchen bezeichnete dieses Haarbüschel die Wunde, anstatt sie zu verdecken.
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