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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert
Autoren: Sergej Lukianenko
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Lebenserhaltungssysteme um sieben Jahre verlängert wurde und ich es schaffen würde, groß zu werden und einen Beruf zu erlernen. Mein Neuroshunt wäre sehr gut, sie hätten damals viel Geld verdient und es sich etwas kosten lassen, also würde es keine Probleme mit der Arbeit geben. Hauptsache, ich würde nicht in schlechte Gesellschaft geraten, keine Drogen nehmen, immer höflich zu Lehrern und Nachbarn sein, rechtzeitig die Kleidung waschen und sauber halten sowie die staatlichen Lebensmittelkarten beantragen.
    Sie begann erst dann zu weinen, als Papa, so als ob er meine Verzweiflung spüren könnte, sagte, dass sich die Entscheidung nicht rückgängig machen ließe. Nachdem die Eltern ihren Tod beantragt hatten, wurde ihnen ein spezielles Präparat verabreicht, worauf sie auch ihre »Abschiedsprämie« erhielten. Das heißt, sogar wenn es sich die Eltern anders überlegen sollten, müssten sie sterben. Aber dann würde man mir nicht das Nutzungsrecht für die Lebenserhaltungssysteme verlängern.
    Ich hatte keinen Appetit mehr. Kein bisschen. Obwohl es noch Eis, Torte und Konfekt gab. Mama flüsterte mir ins Ohr, dass sie von der »Abschiedsprämie« meine Geburtstagsfeier für sieben Jahre im Voraus bezahlt hätten. Ein spezieller Mitarbeiter des Sozialdienstes würde herausfinden, was ich für ein Geschenk möchte, es kaufen, mir zum Geburtstag bringen und das Geburtstagsessen zubereiten.
    Auch wenn unser Planet arm und unwirtlich ist, sind die Sozialdienste nicht schlechter organisiert als auf der Erde oder dem Avalon.
    Das Eis aß ich dann trotzdem. Mama schaute so bittend und mitleiderregend, dass ich die kalten, süßen, nach Erdbeeren und Äpfeln duftenden Stücke herunterschluckte, obwohl ich fast daran erstickte.
    Im »Haus des Abschieds« wurden die Eltern am frühen Morgen erwartet. Wenn sie es bis Mittag herauszögern würden, müssten sie auch so sterben, dann allerdings qualvoll.
    Ich lag bis drei Uhr nachts wach und schaute auf meine Uhr in Form eines Roboters. Er blinkte mit strengen Augen, schwenkte die Arme, schritt auf der Stelle und ließ manchmal die feine Spitze seines »Laserschwerts« durch das Zimmer wandern. Mama beklagte sich immer, dass es unmöglich sei, mit »diesem Unfug« im Zimmer zu schlafen, verlangte aber niemals, den Roboter abzuschalten. Sie erinnerte sich immer daran, wie ich mich gefreut hatte, als sie mir diese Uhr zum achten Geburtstag schenkten.
    Erst da bemerkte ich, dass ich an die Eltern im Präteritum dachte, als ob sie schon gestorben wären. Ich sprang auf, riss die Tür auf und rannte zu ihnen ins Schlafzimmer. Ich bin nicht mehr klein. Ich verstehe alles. Und was Erwachsene, auch die Eltern, nachts machen, weiß ich genau.
    Aber ich konnte nicht mehr allein sein.
    Ich warf mich ins Bett zwischen Mama und Papa. Bohrte mein Gesicht in Mamas Schulter und fing an zu weinen.
    Sie sagten nichts. Weder Mama noch Papa. Sie umarmten und streichelten mich. Da spürte ich, dass sie lebten. Aber nur noch bis zum Morgen. Ich beschloss, dass ich heute nicht schlafen würde, schlief aber trotzdem ein. Am Morgen machte Mama meine Schulsachen fertig. Sie bestand darauf, dass ich unbedingt zum Unterricht gehen solle. Sie bräuchten keine Begleitung. Ein langer Abschied würde nur überflüssige Tränen bedeuten.
    Erst als sie weggingen, sagte Papa: »Tikki...«
    Er sprach nicht weiter. Es blieb ihm zu wenig Zeit für all das, was er mir zu sagen hätte. Ich wartete.
    »Tikki, du wirst verstehen, dass das richtig war.«
    »Nein, Papa«, erwiderte ich.
    Ich hätte »ja« sagen müssen, aber ich konnte nicht.
    Vater lächelte, aber irgendwie sehr traurig, nahm Mamas Hand und sie verließen mich.
    Natürlich folgte ich ihnen. Mit Abstand, damit sie mich nicht sehen konnten. Mama drehte sich sehr oerster teilft um, und ich verstand, dass sie meine Nähe fühlte. Ich zeigte mich aber nicht, denn ich hatte ja versprochen, sie nicht zu begleiten.
    Als sie im »Haus des Abschieds« verschwanden, blieb ich noch eine Weile stehen und trat gegen die Wand des Rathauses. Nicht etwa aus Protest, sondern weil gerade dieses Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite der Allee der Erstbesiedler steht.
    Dann machte ich kehrt und ging in die Schule.
    Weil ich es versprochen hatte.

Erster Teil
Der falsche Ritter

Kapitel 1
    Unser Herbst ist sehr schön.
    Ich lag auf einer glatten Steinplatte, die aus unerfindlichen Gründen nicht verbaut worden, sondern ans Flussufer gelangt war, und schaute in den
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