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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge
Autoren: Markus Heitz
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Wolken aus Staub und Knochenmehl wurden aufgewirbelt undwirkten vor dem düsteren Gestein wie Nebel, aus dem die Gestalten traten. Hinter dem Heer reckte sich der bleiche, drachenähnliche Schädel des Kordrion aus der Schlucht; seine Hörner und Dornen ragten in die Höhe. Die vier oberen grauen Augen musterten die Mauern der Festung, als versuche der Kordrion einzuschätzen, was sich ihm und seinen Dienern entgegenwerfen konnte. Die Blicke der zwei blauen Augen unterhalb der langen, knochigen Schnauze verfolgten die flüchtenden Ubariu und die Zwerge.
    »Vraccas!«, entfuhr es Goda, die ihre magischen Kräfte sammelte, um sich zur Abwehr bereitzuhalten. Sie hatte in der ersten Reihe der kleineren Scheusale einen Helm entdeckt, wie er von den Kindern des Schmieds getragen wurde.
    Dann trat ein Zwerg nach vorne, von Kopf bis Fuß in eine düstere Rüstung aus Tionium gehüllt; schimmernde Intarsien glommen eine nach der anderen auf. Die Kreaturen wichen ehrfürchtig vor ihm zurück.
    In der rechten Hand hielt er eine Waffe, die sowohl im Geborgenen als auch im Jenseitigen Land Legende war: Sie war schwarz wie die schwärzesten Schatten und die Klinge etwas länger als der Arm eines Menschen. Auf der einen Seite war sie dicker und besaß lange, dünne Spitzen, die an einen Kamm erinnerten, auf der anderen verjüngte sie sich wie bei einem Schwert.
    »Blutdürster«, raunte Goda und blieb stehen.
    Notgedrungen hielt Ingrimmsch an und drehte sich um und er erstarrte. Ihm fehlten die Worte.
    Der Zwerg in der nachtfarbenen Rüstung legte die Linke an das Visier des Helmes und schob es nach oben. Ein bekanntes Gesicht mit einer goldenen Augenklappe kam darunter zum Vorschein, doch die Züge waren hart und unerbittlich geworden. Sein kaltes, grausames Lächeln versprach den Tod. Dann hob er die Waffe, schaute nach rechts und links; sofort erklang lautes Geschrei unter den Kreaturen.
    »Vraccas, steh uns bei: Er ist zurück!«, wisperte Goda entsetzt. »Als der Feldherr des Bösen!«
    In diesem Augenblick schmetterten grelle Hörner hohl und echohaft aus der Schlucht, und der Kordrion öffnete das Maul zu einem wütenden Schrei.

I
    Das Jenseitige Land, die Schwarze Schlucht, 6491. Sonnenzyklus, Winter.
    Ingrimmsch starrte auf den lange vermissten und sehnsüchtig erwarteten Freund, der nun an der Spitze eines Heeres voller Ausgeburten des Schreckens stand. Mit der schwarzen Rüstung am Leib, Blutdürster in der Hand und der eisigen Miene wirkte Tungdil auf ihn, als hätte es niemals einen besseren Platz für ihn gegeben. Er passte dorthin.
    »Aber das kann nicht sein«, rief er fassungslos. »Das ist er nicht! Vraccas sei mein Zeuge: Das ist nicht mein Tungdil!« Hilflos sah er zu Goda. »Das ist er nicht«, wiederholte er, als müsse er sich selbst überreden. »Ein Trugbild, um uns zu täuschen und bange zu machen.« Aus seiner Verzweiflung wurde jähe Wut. Ingrimmsch hob den Krähenschnabel; der Wahnsinn griff nach langer Zeit wieder mit ungewohnter Stärke nach ihm, und er hatte nicht vor, dagegen anzukämpfen. »Ich werde gehen und es zerschlagen!«
    Dieses Mal war es an Goda, ihn zu packen. »Nein, Boindil!« Sie stellte sich mutig vor ihn, nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und schaute in die braunen Augen, in denen es blitzte und irre funkelte. »Höre mir zu, Gemahl: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Wir müssen in die Festung. Im Freien...«
    Ihre Worte wurden vom Rumpeln und Knarren der Katapulte verschlungen. Steine, Pfeile und Speere schössen von den Wehrgängen und den Turmplattformen, flogen über die Ubariu und Zwerge hinweg. Sie verdunkelten die Wintersonne und warfen ihre Schatten kurz auf das Häuflein Verteidiger vor dem Tor, ehe sie in der Schwarzen Schlucht niedergingen.
    Ein metallisches Prasseln brandete auf, Eisenspitzen durchschlugen Schilde, Helme und Rüstungen; darunter mischte sich das Aufkreischen der Getroffenen, das von dem Scheppern der in die Linie der Bestien einschlagenden Geschosse beinahe über lagert wurde. Alles zusammen ergab den martialischen Klang einer Schlacht, und bald lag der Geruch von Blut in der Luft.
    Goda wusste: Dies war lediglich der Auftakt zu Schlimmerem. Bald würden auch die Stimmen der Verteidiger im Chor des Sterbens erklingen.
    »Komm mit mir«, bat sie Ingrimmsch und küsste seine Stirn, während über sie hinweg unentwegt die Geschosse flogen. Rauchende Brandkugeln stiegen fauchend in die Höhe und zerbarsten an den aufragenden Steilhängen der
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