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Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt
Autoren: Graeme Simsion
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ungeeignet war.
    Ihr Argument lautete schlicht: Für jeden gibt es jemanden. Statistisch gesehen, hatte sie damit beinahe recht. Leider war die Wahrscheinlichkeit, dass ich so einen Menschen finden würde, verschwindend gering. Doch es setzte etwas in meinem Gehirn in Gang – wie bei einem mathematischen Problem, von dem wir wissen, dass es eine Lösung haben muss.
    Zu ihren nächsten beiden Geburtstagen wiederholten wir das Blumenritual. Das Ergebnis war nicht mehr so dramatisch wie beim ersten Mal, aber ich kaufte ihr auch Geschenke – Bücher über Genetik –, und sie wirkte sehr glücklich. Sie erzählte, ihr Geburtstag sei für sie immer der schönste Tag im Jahr gewesen. Ich wusste, dass diese Einstellung der Geschenke wegen bei Kindern sehr verbreitet war, hätte dies aber nicht bei einer Erwachsenen erwartet.
    Dreiundneunzig Tage nach unserem dritten Geburtstagsessen diskutierten wir auf dem Weg zum Pflegeheim einen Fachaufsatz über Genetik, den Daphne am Vortag gelesen hatte, als offensichtlich wurde, dass sie einige signifikante Punkte vergessen hatte. Es war nicht das erste Mal in den vergangenen Wochen, dass sich ihr Gedächtnis fehlerhaft zeigte, und ich ließ unverzüglich eine Überprüfung ihrer kognitiven Fähigkeiten durchführen. Die Diagnose lautete Alzheimer.
    Daphnes intellektuelle Fähigkeiten verschlechterten sich zusehends, und bald waren wir nicht mehr in der Lage, uns über Genetik zu unterhalten. Unsere gemeinsamen Essen und die Spaziergänge zum Pflegeheim setzten wir jedoch fort. Daphne sprach nun vorzugsweise über ihre Vergangenheit, insbesondere über ihren Mann und die Familie, und ich erhielt einen allgemeinen Überblick darüber, wie das Eheleben so aussah. Sie beharrte weiterhin darauf, dass ich eine passende Partnerin finden und jenes hohe Maß an Glück erleben könne, das sie in ihrem eigenen Leben erfahren habe. Meine Nachforschungen bestätigten, dass Daphnes Argumente durch wissenschaftliche Nachweise gestützt wurden: Verheiratete Männer sind glücklicher und leben länger.
    Eines Tages fragte Daphne: »Wann habe ich wieder Geburtstag?«, und ich erkannte, dass sie ihr Zeitgefühl verloren hatte. Ich beschloss, dass eine Lüge akzeptabel sei, um ihr Glück zu maximieren. Das Problem bestand darin, außerhalb der Jahreszeit Seidelbast aufzutreiben, doch ich hatte unerwartet Glück. Ich hatte von einem Genetiker gehört, der aus wirtschaftlichen Gründen an der Veränderung und Verlängerung von Blütezeiten bei Pflanzen arbeitete. Dieser konnte meine Blumenhändlerin mit Seidelbast versorgen, und ich veranstaltete ein simuliertes Geburtstagsessen. Jedes Mal, wenn Daphne nach ihrem Geburtstag fragte, wiederholte ich dieses Vorgehen.
    Schließlich wurde es notwendig, dass Daphne zu ihrem Mann im Pflegeheim kam, und während ihr Gedächtnis immer schlechter wurde, feierten wir ihre Geburtstage immer häufiger, bis ich sie schließlich täglich besuchte. Die Blumenhändlerin gab mir eine spezielle Treuerabattkarte. Ich rechnete aus, dass Daphne ihren zweihundertsiebten Geburtstag gefeiert hatte, als sie aufhörte, mich zu erkennen, und ihren dreihundertneunzehnten, als sie nicht mehr auf den Seidelbast reagierte. Da stellte ich meine Besuche ein.
     
    Ich hatte nicht erwartet, noch einmal von Julie zu hören, aber wie üblich erwies sich meine Einschätzung menschlichen Verhaltens als falsch. Zwei Tage nach dem Vortrag klingelte um 15 : 37  Uhr mein Telefon mit einer unbekannten Nummer im Display. Julie hinterließ die Nachricht, ich solle sie zurückrufen, und ich folgerte, dass ich etwas vergessen haben musste.
    Wiederum lag ich falsch. Sie wollte unser Gespräch über das Asperger-Syndrom fortsetzen. Ich freute mich, dass mein Vortrag einen solchen Eindruck auf sie gemacht hatte. Sie schlug ein Treffen zum Mittagessen vor, was keine ideale Umgebung für eine produktive Diskussion darstellt, aber da ich mein Mittagessen für gewöhnlich allein einnehme, wäre es leicht zu terminieren. Ein anderes Problem war dagegen die Hintergrundrecherche.
    »An welchem Thema sind Sie speziell interessiert?«
    »Ach«, meinte sie, »ich dachte, wir könnten uns einfach ganz allgemein unterhalten … uns ein bisschen kennenlernen.«
    Das klang unpräzise. »Ich brauche wenigstens einen pauschalen Hinweis auf den Themenbereich. Was habe ich gesagt, das Ihr spezielles Interesse geweckt hat?«
    »Ach … Ich schätze mal, die Sache mit den Computertestern in Dänemark.«
    »Sie
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