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Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt
Autoren: Graeme Simsion
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beeinträchtigen. Das »Aprikoseneis-Desaster« ist ein gutes Beispiel.
    Claudia hatte mich einer ihrer vielen Freundinnen vorgestellt. Elizabeth war eine hochintelligente Informatikerin mit eingeschränkter Sehleistung, was mittels einer Brille korrigiert worden war. Ich erwähne die Brille, weil Claudia mir ein Foto zeigte und fragte, ob mich die Brille störe. Was für eine Frage! Von einer Psychologin! Bei der Einschätzung von Elizabeths Tauglichkeit als potentieller Partnerin – eine Person, die mir intellektuelle Stimulation bieten soll, mit der ich Freizeitaktivitäten teilen und mich vielleicht sogar fortpflanzen werde – war Claudias erste Sorge, ob mir die Wahl ihrer Brillenfassung zusagt, die vermutlich nicht einmal ihrer eigenen Wahl entsprach, sondern das Ergebnis der Beratung eines Optikers war. In so einer Welt muss ich leben! Dann sagte Claudia noch, als wäre das ein Problem: »Sie hat sehr konkrete Vorstellungen.«
    »Beruhen diese auf nachweisbaren Tatsachen?«
    »Ich schätze, ja«, erwiderte Claudia.
    Perfekt. Damit hätte sie auch mich beschreiben können.
    Wir verabredeten uns in einem thailändischen Restaurant. Restaurants sind für gesellschaftlich Unbeholfene reine Minenfelder, und wie immer in solchen Situationen war ich nervös. Wir hatten aber einen außerordentlich guten Start, indem wir beide gleichzeitig, wie verabredet, um Punkt 19 : 00  Uhr eintrafen. Unpünktlichkeit ist eine immense Zeitverschwendung.
    Wir überstanden das Essen, ohne dass ich wegen irgendwelcher gesellschaftlichen Fehler kritisiert wurde. Es ist schwer, ein Gespräch zu führen, während man andauernd überlegen muss, ob man den korrekten Körperteil betrachtet, aber wie von Gene empfohlen, fixierte ich einfach ihre bebrillten Augen. Zwar führte das zu einigen Ungenauigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, doch Elizabeth schien es nicht weiter zu bemerken. Im Gegenteil, wir führten eine hochproduktive Diskussion über Simulationsalgorithmen. Die Frau war äußerst interessant! Ich zog bereits die Möglichkeit einer dauerhaften Beziehung in Betracht.
    Dann brachte der Kellner die Dessertkarte, und Elizabeth sagte: »Ich mag keine asiatischen Desserts.«
    Dies konnte nur eine unqualifizierte Verallgemeinerung sein, die auf eingeschränkter Datengrundlage beruhte, und vielleicht hätte ich das schon als Warnsignal deuten müssen. Allerdings bot es die Gelegenheit für einen kreativen Vorschlag.
    »Wir könnten auf der Straßenseite gegenüber ein Eis kaufen.«
    »Gute Idee. Solange sie Aprikoseneis haben.«
    Ich kalkulierte, dass ich mich bis zu diesem Zeitpunkt gut gehalten hatte, und stufte die Aprikosenpräferenz nicht als Problem ein. Ich lag falsch. Die Eisdiele bot eine riesige Auswahl an Eissorten, doch die Geschmacksrichtung Aprikose war bereits ausverkauft. Ich bestellte eine Waffel mit Schokolade-Chili und Lakritz für mich und fragte Elizabeth nach ihrer zweitliebsten Sorte.
    »Wenn sie kein Aprikoseneis haben, nehme ich nichts.«
    Ich konnte es nicht fassen. Im Grunde genommen schmecken alle Eissorten gleich, da die Geschmacksnerven unterkühlt werden. Das gilt besonders für Fruchteissorten. Ich schlug Mango vor.
    »Nein, danke, für mich nichts.«
    Ich erklärte das Phänomen der Geschmacksnervenunterkühlung im Detail. Ich sagte voraus, dass, wenn ich ein Mango- und ein Pfirsicheis kaufte, sie keinerlei Unterschied schmecken werde. Und dass außerdem beides genauso schmecken werde wie Aprikoseneis.
    »Die sind vollkommen verschieden«, widersprach sie. »Wenn Sie Mango nicht von Pfirsich unterscheiden können, ist das Ihr Problem.«
    Es bestand eine simple objektive Uneinigkeit, die kurzerhand durch ein Experiment behoben werden könnte. Ich bestellte für jede der beiden Eissorten jeweils eine Miniwaffel. Doch als die Bedienung die Waffeln gefüllt hatte und ich mich umdrehte, um Elizabeth zu bitten, die Augen für das Experiment zu schließen, war sie verschwunden. So viel zu »nachweisbaren Tatsachen«. Und zu »Naturwissenschaftlerin«.
    Hinterher empfahl Claudia, ich hätte das Experiment abbrechen sollen, bevor Elizabeth ging. Nun, das war offensichtlich. Aber zu welchem Zeitpunkt? Wo war das Signal? Das sind die Feinheiten, die ich nicht erkennen kann. Ich sehe aber auch nicht ein, warum erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber unklaren Vorstellungen von Eissorten eine Vorbedingung dafür sein soll, eine passende Partnerin zu finden. Mir scheint es vernünftig, anzunehmen, dass es Frauen gibt, bei
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