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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel
Autoren: John Katzenbach
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einem Buch gelesen, als ich noch ziemlich jung war – Mata Hari soll sich, kurz bevor der französische Offizier dem Exekutionskommando den Schießbefehl erteilt hat, die Bluse aufgerissen haben, um ihre Brüste zu entblößen, als wollte sie den Soldaten sagen: Wagt es ja nicht, etwas so Schönes zu zerstören …«
    Die Mutter schloss für einen Moment die Augen, als koste es sie Kraft, sich diese Anekdote ins Gedächtnis zu rufen; die Tochter setzte sich auf den Bettrand und nahm ihre Hand.
    »Aber sie haben trotzdem geschossen. Wie traurig. Männer eben.«
    Die beiden Frauen grinsten einen Moment.
    »Es ist nur ein Name, Mutter. Und für jemanden, der sich Rätsel für Zeitschriften ausdenkt, passt er ziemlich gut.«
    Die Mutter nickte. »Ich denke, ich nehme eine Tablette«, meinte sie. »Und morgen rufen wir deinen Bruder an. Er soll uns was über Mörder erzählen. Vielleicht kann er uns sagen, weshalb die französischen Soldaten dem Schießbefehl gehorchten. Bestimmt hat er eine Theorie. Wäre doch nett.« Sie lachte trocken.
    »Ja, das wäre schön.« Die Tochter griff nach dem Tablett und öffnete ein Pillenfläschchen.
    »Vielleicht doch lieber zwei«, überlegte die Mutter.
    Die Tochter zögerte, dann schüttete sie sich die beiden Tabletten in die Hand. Die Mutter öffnete den Mund, und die Tochter legte ihr die Dragees auf die Zunge. Dann richtete sie ihre Mutter auf und hielt ihr den eigenen Becher Wasser an die Lippen.
    »Schmeckt grässlich«, seufzte die Mutter. »Weißt du, dass wir, als ich klein war, das Wasser aus den Bergquellen der Adirondacks trinken konnten? Du stehst mit den Füßen im Bach und musst dich nur bücken, um es mit den Händen aufzufangen – das klarste, kühlste Wasser, das du dir denken kannst. Es war weich und schwer, als ob du etwas isst, wenn du es schluckst. Wunderbar rein und sehr kalt.«
    »Ja, ich weiß – das hast du mir schon oft erzählt«, erwiderte die Tochter nachsichtig. »Das ist nicht mehr so. Nichts ist mehr so. Und jetzt versuch, ein bisschen zu schlafen. Du brauchst deinen Schlaf.«
    »Hier ist alles so heiß. Es ist immer so heiß. Weißt du, manchmal kann ich nicht sagen, ob sich nur mein Körper so heiß anfühlt oder auch die Luft ringsum.«
    Sie legte eine Pause ein, bevor sie sagte: »Nur noch ein einzigesMal, weißt du, nur noch einmal möchte ich dieses Wasser auf der Zunge spüren.«
    Die Tochter legte den Kopf ihrer Mutter langsam auf das Kissen und wartete, bis ihre Lider schwer wurden und sich schlossen. Sie schaltete die Nachttischlampe aus und kehrte in ihr eigenes Zimmer zurück. Sie sah sich um und wünschte sich, irgendetwas zu entdecken, das nicht nur zweckmäßig und gewöhnlich war oder so herzlos wie die Pistole auf ihrem Computertisch. Irgendetwas, das verriet, wer sie war oder sein wollte.
    Doch sie fand nichts. Stattdessen starrte ihr das Blatt entgegen.
DIE ERSTE PERSON BESITZT DAS,
WAS DIE ZWEITE PERSON VERSTECKT HAT.
    Du bist einfach nur müde, dachte sie. Du hast hart gearbeitet, und für diese Zeit, für diese fortgeschrittene Hurrikansaison, ist es zu heiß. Viel zu heiß. Dabei wirbelten über den Atlantik immer noch mächtige Stürme, die von der Küste Afrikas ausgingen, aus dem Ozean Kräfte saugten, um in der Karibik oder – schlimmer noch – in Florida zu landen. Sie grübelte. Vielleicht wird einer über uns hinwegfegen. Spätsaisonstürme. Tückische Stürme. Die alteingesessenen Bewohner der Keys behaupten, das wären die schlimmsten, aber eigentlich macht es keinen Unterschied. Sturm ist Sturm. Wieder starrte sie auf die Botschaft und redete sich trotzig ein: Eine anonyme Botschaft ist kein Grund zur Besorgnis, nicht einmal eine so kryptische wie diese.
    Eine Weile bemühte sie sich, ihrer Lüge zu glauben, dann setzte sie sich wieder an den Schreibtisch und griff nach einem Block Papier.
    »Die erste Person …«
    Das könnte Adam sein. Vielleicht ist es biblisch.
    Sie fing an, in größeren Zusammenhängen zu denken.
    Die erste
Familie
– nun ja, das wäre der Präsident, allerdings wusste sie nicht, wie das funktionieren sollte. Dann kam ihr die berühmte Lobrede auf George Washington in den Sinn – »Erster im Krieg, Erster im Frieden …« –, und sie arbeitete eine Weile in dieser Richtung weiter, was sich aber schnell als frustrierend erwies. Sie hatte keinen George in ihrem Bekanntenkreis. Auch keinen Washington.
    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und wünschte sich, die Klimaanlage würde
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