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Das Pestzeichen

Das Pestzeichen

Titel: Das Pestzeichen
Autoren: Zin meister Deana
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Vater nickte, und der Mann ermahnte ihn mit Grabesstimme: »Du musst alle Gegenstände vor Ungläubigen verbergen. Nur die Geprüften dürfen sie sehen. Vergiss niemals, dass während der Suche geschwiegen werden muss. Wird auch nur ein Wort gesprochen, ist alles vorbei, und er verschwindet so tief, dass er nicht mehr geborgen werden kann.«
    Der Vater nickte erneut und starrte wieder den Gegenstand an, den Susanna nicht erkennen konnte.
    Als das Mädchen den unheimlichen Ton der fremden Stimme vernahm, überzog eine Gänsehaut ihren Körper, und es schüttelte sie, sodass sie die Luke ein kleines Stück nach unten fallen ließ. Diese Bewegung schien der Vater bemerkt zu haben. Als sein Blick sich mit ihrem kreuzte, riss er entsetzt die Augen auf, woraufhin sich der Fremde ruckartig umdrehte. Aus kalten Augen starrte er das Mädchen an, das vor Schreck die Klappe losließ.
    Voller Furcht versuchte Susanna aufzustehen. Bevor sie sich aufrappeln konnte, hörte sie, wie der Fremde mit eisiger Stimme zischte: »Ist sie noch Jungfrau?«
    Susanna wartete die Antwort ihres Vaters nicht mehr ab, sondern rannte ins Haus zurück, wo sie sich unter ihrem Bett verkroch.

Kapitel 1
    Das Köllertal im Land an der Saar, 1652
    Seit Anfang April brannte die Sonne jeden Tag aufs Neue unerbittlich vom Himmel, und auch im Monat Mai blieb der Regen bislang aus. Die stetige Hitze ließ die Weiden vertrocknen und das Wasser in Bächen und Teichen verdunsten. Blumen und frische Triebe verdorrten, kaum dass sie ausgeschlagen hatten.
    Susanna war froh, dass ein Teil des Weges sie durch schattigen Wald führte. Als sie an einem Bachlauf vorbeikam, kniete sie nieder und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser, um ihren Durst zu stillen. Anschließend benetzte sie das Gesicht und den Hals, lupfte ihren Rock und setzte sich an den Rand des Bachs. Als sie die Füße in das kühle Wasser tauchte, schloss sie kurz die Augen und seufzte leise. Verträumt blinzelte sie dann in die Sonnenstrahlen, die zwischen den Ästen der Bäume auf den Waldboden trafen. Susanna konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Gegen Abend würde sie wieder bei ihren Geschwistern und den Eltern sein. Als ihr bewusst wurde, dass sie nur eine Woche von zu Hause fort gewesen war, schüttelte sie ungläubig den Kopf. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch tatsächlich war sie letzten Dienstag in den Norden von Westrich aufgebrochen, um die Ziege zur Schwester der Mutter zu bringen.
    Ihre Muhme war wenige Tage zuvor von einer Tochter entbunden worden, hatte jedoch nicht genügend Milch, um das Kind satt zu bekommen. Da die Verwandten keine eigene Ziege besaßen, hatten sie den ältesten Sohn Arthur zum Hof der Arnolds geschickt. Nach einem anstrengenden Tagesmarsch war der Zwölfjährige auf dem Gehöft, das nahe dem Ort Heusweiler gelegen war, angekommen. Der Junge hatte blass und dünn auf dem Hof gestanden und um die Ziege gebettelt. »Meine kleine Schwester verhungert sonst«, hatte Arthur mit trauriger Stimme erklärt.
    Zwar musste auch Susannas Familie jeden Tag aufs Neue ums Überleben kämpfen, doch ging es den Arnolds besser als vielen anderen, die wie sie den langen Krieg überlebt hatten. Die Kämpfe, die drei Jahrzehnte lang im Reich gewütet hatten, hatten unsägliches Leid und große Armut hinterlassen. Seit vier Jahren herrschte nun Friede im Land. Mit der Zeit schienen sich die Lebensbedingungen zu verbessern, da man vielerorts mit dem Wiederaufbau begann. Doch die Menschen litten Hunger. Da der Krieg zahllose Tote gefordert hatte, waren große Landstriche verwaist. Bauernhöfe und ganze Ansiedlungen standen leer oder waren in Schutt und Asche gelegt worden. Felder konnten nicht bestellt werden, da es kaum Saatgut zu kaufen gab. Die wenige Frucht, die noch auf den Äckern wuchs, reichte nicht aus, um die Menschen zu ernähren. Obendrein waren die Wälder fast leer gejagt, sodass es nur noch vereinzelt Hirsche, Rehe, Hasen, Wildschweine oder anderes Wild gab, das den Speiseplan ergänzen konnte. Die Menschen waren so verzweifelt, dass sie alles aßen, was den Hunger stillte. Vor wenigen Wochen erst hatten die Arnolds eine alte Frau tot vor einem Mauseloch auf dem Acker gefunden. Sie hatte in ihrer Verzweiflung anscheinend versucht, eine Maus auszugraben, und war darüber an Hunger gestorben. Der Totengräber hatte die Alte abgeholt und erschüttert geflüstert: »Sie ist leicht wie eine Feder!«
    Als wäre der Hunger nicht schon Leid genug, kämpften die
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