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Das Niebelungenlied

Das Niebelungenlied

Titel: Das Niebelungenlied
Autoren: Manfred Bierwisch
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beilegen könnten, und dazu rate ich. Wir sollten ihn zum Freund gewinnen, das würde uns noch ehrenhafter anstehen.«
    Aber Hagen sagte: »Uns und allen deinen Kriegern kann es nicht gefallen, daß er je streitsüchtig an den Rhein geritten ist. Er hätte es bleibenlassen sollen. Meine Herren haben ihm nichts Übles angetan.«
    Darauf antwortete Sîfrit: »Wenn Euch stört, Herr Hagen, was ich gesagt habe, so kann ich Euch vor Augen bringen, wie ich mir Gewalt in Burgund verschaffe.«
    »Das will ich allein verhindern«, entgegnete Gêrnôt. Er verwies es allen seinen Männern, anmaßende Reden zu führen. Da kam auch Sîfrit das wunderschöne Mädchen in den Sinn. »Wie stünde uns ein Streit mit Euch wohl an?«fragte Gêrnôt. »So viel Ritter darum auch tot am Boden liegen müßten, es brächte uns wenig Ehre und Euch wenig Nutzen.« Sîfrit antwortete ihm: »Worauf warten denn Hagen und Ortwîn, daß sie schweigen mit allen ihren Freunden?« Aber sie stritten nicht weiter mit ihm; wie Gêrnôt es ihnen geraten hatte.
    »Ihr sollt uns willkommen sein«, sagte Gêrnôt. »Euch und Euren Gefährten wollen ich und meine Verwandten gerne gefällig sein.« Man ließ den Gästen den Willkommenstrunk reichen, und Gunther, der Herr des Landes, sagte: »Alles, was wir haben, soll Euer sein, Leben und Gut wollen wir mit Euch teilen, soweit es in Ehren möglich ist«, und damit war Sîfrit etwas besänftigt. Man befahl, ihre mitgebrachten Kleider zu verwahren, und gab ihnen die besten Unterkünfte, die zu finden waren; auch Sîfrits Dienstleute wurden vorzüglich untergebracht.
    Bald sah man den fremden Gast gern in Burgund. An allen Tagen erwies man ihm tausendmal mehr Ehre, als ich euch erzählen kann, und glaubt nur, das geschah um seiner Stärke willen. Niemand konnte Sîfrit noch feindselig gesinnt sein, wenn er ihn einmal gesehen hatte. Die Könige und ihre Männer übten sich und stritten miteinander um die Wette, und was sie auch unternahmen, er war in allem der Beste. Seine Kraft war so ungeheuer, daß niemand es ihm nachtun konnte, mochte es im Steinwurf sein oder im Speerschießen. Und wenn sie in höfischer Unterhaltung mit den Frauen umgingen, gefiel allen der Held aus den Niederlanden. Er hatte sich verehrungsvoller Liebe hingegeben. Man fand ihn zu allen Dingen bereit, aber in seinen Gedanken war nur das geliebte Mädchen, das er noch nie gesehen hatte, und Kriemhilt selbst sprach freundlich von ihm mit ihren Vertrauten. Wenn die jungen Männer ihre Wettkämpfe im Hof austrugen, sah Kriemhilt ihnen durchdie Fenster zu, und seit Sîfrit unter ihnen war, brauchte sie kaum andere Unterhaltung; und es hätte ihm Freude gemacht, wenn er gewußt hätte, daß die Geliebte ihn sah. Hätte er sie gesehen, so hätte es auf der Welt gewiß nichts Schöneres mehr für ihn geben können. Wenn er unter den Rittern auf dem Hof stand, war der Sohn Sigelints so liebenswert anzusehen, daß manche Frau ihm ihr Herz zuwandte. Manchmal dachte er: ›Wie ist es wohl zu ermöglichen, daß ich sie von Angesicht sehen kann? Ich liebe sie im Herzen seit langer Zeit, und sie ist mir noch so fremd. Soll ich noch lange in diesem Kummer leben?‹
    Jedesmal, wenn die Könige ihre Länder bereisten, wurden sie von ihrem Hofstaat begleitet, und bei ihm war auch Sîfrit. Kriemhilt war traurig darüber, und auch ihm machte die Liebe zu ihr viel zu schaffen. So lebte er ein ganzes Jahr an Gunthers Hof und hatte noch keinmal in dieser Zeit die gesehen, die ihm Glück und Tod bedeuten sollte.

4 . WIE ER MIT DEN SACHSEN KÄMPFTE
    Eines Tages brachten Boten von weit her den Königen seltsame Nachrichten von fremden Rittern, die ihnen feindlich gesinnt wären; davon waren sie beunruhigt. Es waren Liudegêr, ein mächtiger Sachsenfürst, und Liudegast von Dänemark. Sie warben viele Männer für einen Kriegszug an und schickten Boten nach Burgund. Man fragte die Fremden nach ihren Neuigkeiten und wies sie an, damit zu Hofe zu gehen. Der König hieß sie freundlich willkommen und fragte, wer sie gesandt habe; da fürchteten sie seinen Unwillen. »Wenn Ihr, großer König, erlaubt, daß wir unsere Botschaft ausrichten, so wollen wir sie nicht verschweigen und Euch die Herren nennen, die uns zu Euchgesandt haben. Es sind Liudegêr und Liudegast, und sie wollen Euer Land überfallen. Ihr habt ihren Zorn erregt, und wir haben gehört, daß beide von Haß erfüllt sind gegen Euch. Sie wollen einen Feldzug nach Worms unternehmen, und bei unserer Treue, sie
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