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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab
Autoren: Horst Hoffmann
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zwischen zwei Hütten. »Der Schatten! Da war er wieder.«
    Sie lief schon auf die betreffende Stelle zu. Gorma setzte ihr nach und sah gerade noch eine dunkle Gestalt zwischen den Bauten verschwinden. Sie lief zur Küste hinunter.
    »Hinterher!« rief Gorma. Sinaka rannte schon.
    Der Schatten verschwand, als hätte der Morast ihn verschluckt. Dort, wo sie ihn gesehen hatten, blieben die Amazonen stehen und betrachteten im fahlen Licht des Mondes den Boden.
    Er war naß. Abdrücke von nackten Füßen waren in den Schlick getreten. Gorma ging in die Hocke. Das Mondlicht reichte aus, um die Umrisse der Abdrücke deutlich genug erkennen zu lassen.
    Schaudernd schüttelte sie den Kopf.
    »Was ist?« wollte Sinaka wissen.
    »Das sind nicht die Füße eines Menschen«, stieß Gorma hervor. »Derjenige, der hier stand, hat Schwimmhäute zwischen den Zehen.«
    Sie stand auf und winkte der Kriegerin.
    »Wir brauchen seiner Spur nicht zu folgen. Ich glaube, ich weiß jetzt, wo wir die Bewohner der Stadt finden.«
    Ohne sich umzudrehen, lief sie geradewegs zur Küste hinunter. Als die Hütten sich teilten, blieb sie stehen.
    Vor ihr und Sinaka lag ein zwanzig bis dreißig Schritt breiter Küstenstreifen. Es herrschte Flut, und die meisten der hier aufgespannten Fischernetze befanden sich zur Hälfte im Wasser, das sich in kleinen, gekräuselten Wellen über das Land schob und wieder zurückfloß.
    Und zwischen den Netzen hockten sie.
    Sinaka stieß einen heiseren Laut aus.
    »Lauf zurück zu den anderen und hole sie«, flüsterte Gorma ihr zu. »Beeile dich.«
    Gorma aber machte einige Schritte auf die Gestalten zu, die sich zwischen den Netzen verbargen und nun weiter zurückwichen, bis einige von ihnen bis zum Hals im Meer standen.
    Sie waren nur mit Stoffetzen bekleidet, die sie sich um die Hüften gewickelt hatten, Männer wie Frauen.
    Und ihre Haut schimmerte grünlich.
    Das also waren die Ausgestoßenen der Inseln, die Bewohner des Nassen Grabes, aus dem angeblich niemand je wieder zurückgekehrt war. Gorma blieb stehen. Sie wäre nicht überrascht gewesen, hätten sich diese Geschöpfte vor ihren Augen direkt in die Fluten geflüchtet.
    Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und wartete. Die Inselmenschen starrten sie aus großen, glasigen Augen an. Nur mühsam unterdrückte sie den Drang, weiterzugehen und sich einen von ihnen zu greifen. Sie waren völlig verschüchtert. Wann hatten sie zum letztenmal andere, wirkliche Menschen gesehen?
    Bei Zaem! dachte die Amazone. Noch ein Schritt auf sie zu, und sie stürzen sich wahrhaftig ins Meer!
*
    Die Kriegerinnen kamen mit brennenden Scheiten und ganz langsam heran, offenbar von Sinaka gewarnt. Sosona schritt an ihrer Spitze.
    Gorma atmete auf. Sie wartete, bis die Hexe an ihrer Seite war, und flüsterte, ohne den Blick von den Inselbewohnern zu nehmen:
    »Du mußt zu ihnen sprechen. Locke sie her. Den Rest besorgen dann wir. Wir müssen einige von ihnen in die Hände bekommen.«
    »Es ist also wahr«, sagte Sosona ebenso leise. »Es ist, wie die Legenden behaupten.«
    »Sprich zu ihnen!«
    Die Hexe wirkte unsicher. Doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Sosona machte einige Schritte auf die Netze zu und rief mit lauter Stimme:
    »Ihr braucht euch nicht vor uns zu verstecken! Wir wollen nichts als einige Auskünfte von euch! Kommt her und habt keine Angst!«
    Gorma murmelte eine Verwünschung und warf Gudun einen grimmigen Blick zu. Das hätte sie selbst sagen können. Glaubte Sosona wirklich, damit etwas zu erreichen?
    »Wir haben nur Fragen! Wir versprechen, euch in Frieden zu lassen, sobald wir wissen, was wir wissen müssen!«
    Die Inselbewohner zeigten keine Reaktion. Keiner von ihnen dachte daran, Sosonas Aufforderung Folge zu leisten. Aber sie liefen auch nicht mehr davon.
    Sosona redete weiter auf sie ein. Gudun stieß Gorma mit dem Ellbogen an.
    »Wir greifen uns so viele, wie wir erwischen können«, flüsterte sie. »Sie hören Sosona zu und haben nur Augen für sie. Sieh hin!«
    Gorma nickte. Gudun winkte unauffällig die anderen Amazonen heran und machte ihnen Zeichen.
    »Jetzt!« schrie sie.
    Die Kriegerinnen stürmten vor, kreisten die Inselbewohner bis zum Wasser hin ein und drangen zwischen die Netze. Ein entsetztes Geschrei hob an. Männer und Frauen mit grünlich schimmernder Haut stürzten sich ins Meer, verschwanden und tauchten ein, zwei Steinwürfe entfernt in den heranrollenden Wellen wieder auf, um mit kräftigen Stößen davonzuschwimmen. Sie
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