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Das nasse Grab

Das nasse Grab

Titel: Das nasse Grab
Autoren: Horst Hoffmann
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gesehen worden sein. Und dort unten, in der versunkenen Stadt, sollen noch Nachfahren des Alten Volkes von Singara leben, die den Bewohnern der Oberwelt nachstellen, um sie ihrer Göttin, der Anemona, zu opfern.« Die Stimme der Hexe war nun kaum mehr als ein Flüstern. Selbst Gorma hatte sich von der Tür entfernt und war ganz nahe an Sosona herangetreten. »Und weiter heißt es, daß die Ausgestoßenen der Inseln sich mit der Zeit immer mehr von diesem schrecklichen Leben im Meer in den Bann schlagen ließen und dem Göttinenkult frönen.«
    Sosona blickte die Kriegerinnen der Reihe nach an.
    »Es heißt«, schloß sie mit bebender Stimme, »daß die Verbannten keine wirklichen Menschen mehr sind. Wisset also, wohin ihr euch begebt und welchen unseligen Mächten ihr begegnen werdet, wenn ihr versucht, die Zaubermutter und Burra zu retten.«
    Sie versuchte nicht, die Amazonen von ihrem Vorhaben abzuhalten. Sosona wußte, daß es ihre Pflicht war, der Zaem zu Hilfe zu eilen. Sie konnte nichts tun, als zu warnen und zu mahnen.
    Dabei ahnte sie ebensowenig wie die Kriegerinnen, welche Gefahr neben all den anderen, vorhersehbaren, im Nassen Grab tatsächlich für Vanga heranwuchs.
    Es war eine Gefahr, die einen Namen trug – einen Namen, den sie alle kannten.
*
    Tertish fand als erste Worte. Sie rückte ein Stück von Sosona ab und sagte laut:
    »Das sind Legenden. Zugegeben, jede Legende beruht auf einer Wahrheit, aber wir werden uns nicht von ihnen aufhalten lassen. Wir werden Zaem und Burra befreien und mit ihnen gemeinsam jede Gefahr bannen!«
    Sie sah Gudun und Gorma an, die beide bekräftigend nickten.
    »Wir nehmen Kurs auf das Nasse Grab!« rief Gudun aus. »Wir haben zuviel Zeit verloren!«
    Bestürzt mußte die Hexe erkennen, daß sie den Amazonen eher noch den Mund nach Abenteuern wäßrig gemacht hatte, als sie davon zu überzeugen, daß mehr als nur Vorsicht geboten war.
    Viel zu leicht stellten sie sich die Befreiung der Zaubermutter und Burras vor. Sie fieberten der Gefahr förmlich entgegen.
    »Überstürzt nichts!« warnte sie nochmals. »Es gibt Dinge, über die selbst mir zu sprechen verboten ist, Geheimnisse, an die zu rühren…«
    »Dann sag uns, welche Geheimnisse dies sind!« forderte Tertish ungehalten. »Du weißt also mehr, als du uns zu sagen bereit bist!«
    Und nicht einmal das schreckte sie.
    Sosona schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Das darf ich nicht. Ich bin gehalten zu schweigen, und darüber hinaus werden die letzten Wahrheiten nur in den Gesängen der Zaubermütter offenbart.«
    Tertish wollte auffahren, doch Gudun legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Es ist fraglich, Sosona, ob du auch im Sinn der Zaubermütter handelst«, sagte Tertish nur, »wenn du durch dein Schweigen nicht nur uns, sondern auch die Zaem…«
    Weiter kam sie nicht.
    Das Blut wollte den Amazonen in den Adern stocken.
    Entsetztes Geschrei hob auf dem Deck an – Geschrei, in das sich das Kreischen und jene anderen Laute mischten, die den Kriegerinnen nur zu gut in Erinnerung waren. Das Splittern von Holz war zu hören und das Reißen von dickem Segeltuch.
    Die Dienerinnen der Zaem blickten sich einen Herzschlag lang an. Dann riß Gorma die Tür auf und stürmte als erste aufs Deck hinaus.
    Gudun und Tertish folgten ihr, mit den Schwertlanzen in beiden Händen.
    Ihren Augen boten sich Bilder wie aus den tiefsten Abgründen menschlicher Vorstellungskraft.
    Nur zwei Entersegler waren es, die die Nacht ausgespien hatte, und die mit ihren furchtbaren Peitschenschwingen Tod und Verderben über das Schiff und die Amazonen brachten. Die Schwingen hatten bereits Längen von zehn Schritt und mehr erreicht, und sie schlugen in die Masten und zerfetzten Segel, als beständen sie aus nur dünnem Pergament. So groß war die blindwütige Raserei der Bestien, daß sie sich fast gegenseitig zerfleischten, wenn sie sich hier, auf engstem Raum, zu nahe kamen.
    Dann jedoch lösten sie sich voneinander. Ihre mächtigen Körper waren Schatten über dem Schiff, schwärzer als die Nacht. Ein Entersegler senkte sich auf das Bugkastell herab, der zweite wütete über dem Heck. Die Kriegerinnen lagen hinter den Aufbauten oder stellten sich in sinnloser Gegenwehr den Ausgeburten der Finsternis entgegen. Ihre Schreie hallten schmerzhaft in Gormas Ohren, als sie den beiden Gefährtinnen heftig winkte.
    »Zum Bug, Gudun!« schrie sie aus Leibeskräften, Heftige Böen peitschten ihr dicke Regentropfen ins Gesicht. »Bringe die Närrinen in
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