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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer
Autoren: Philip Pullman
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nach vorn und – verschwand.
    Will rieb sich erstaunt die Augen. Ein Lastwagen umrundete den Kreisverkehr, und das Scheinwerferlicht wanderte über Will, der reglos am Stamm eines Baumes verharrte. Als der Laster vorbei war, überquerte Will die Straße, den Blick unverwandt auf die Stelle gerichtet, an der die Katze verschwunden war. Das war nicht leicht, weil es dort eigentlich gar nichts zu sehen gab. Erst als er die Stelle erreichte und sich genauer umblickte, bemerkte er es.
    Zumindest aus einem bestimmten Winkel. Es sah aus, als hätte jemand etwa zwei Meter vom Straßenrand entfernt ein Stück aus der Luft herausgeschnitten, ein ungefähr viereckiges Stück von weniger als einem Meter Höhe. Wenn man genau daneben stand, es also von der Seite sah, war es beinahe unsichtbar, und von hinten konnte man es überhaupt nicht sehen. Man sah es nur von der der Straße zugewandten Seite, und selbst von da nur mit Mühe, weil in dem Ausschnitt genau dasselbe zu sehen war wie davor: ein Stück Rasen, beleuchtet von einer Straßenlaterne.
    Doch Will wusste sofort und ohne den leisesten Zweifel, dass jenes Stück Rasen auf der anderen Seite zu einer anderen Welt gehörte.
    Er hätte nicht sagen können warum. Er wusste es einfach, so wie er wusste, dass Feuer brannte und Freundlichkeit et  was Gutes war. Er blickte auf etwas zutiefst Fremdes.
    Und nur deshalb bückte er sich und sah genauer hin. Was er sah, machte ihn schwindlig und ließ sein Herz klopfen, aber er zögerte nicht: Er schob seine Tasche durch und kletterte hinterher, durch ein Loch im Gefüge der Welt in eine andere.
    Wieder stand er unter einer Reihe von Bäumen, allerdings keinen Hainbuchen. Hier waren es hohe Palmen, die wie die Bäume in Oxford einen Rasen säumten, allerdings ein Rasen  stück in der Mitte eines breiten Boulevards unter einem funkelnden Sternenhimmel. Am Rand des Boulevards standen Cafes und kleine Läden, alle hell erleuchtet und offen, aber vollkommen still und leer. Die heiße Nacht war schwer vom Duft der Blumen und dem Salzgeruch des Meeres.
    Will sah sich vorsichtig um. Hinter ihm beschien der Vollmond eine entfernte Kette großer, grüner Berge, an deren Fuß Häuser in üppigen Gärten lagen und sich eine offene Parklandschaft mit Baumgruppen und einem weiß schimmernden Säulentempel erstreckte.
    Genau neben ihm war die leere Stelle in der Luft, von dieser Seite so schwierig zu erkennen wie von der anderen, aber eindeutig da. Er bückte sich, um durchzusehen, und sah die Straße in Oxford, die Welt, aus der er kam. Mit einem Schau  der wandte er sich ab: Was immer die neue Welt barg, sie war bestimmt besser als die, die er soeben verlassen hatte. Mit einem merkwürdigen Gefühl der Leichtigkeit, als träume und wache er zur gleichen Zeit, richtete er sich wieder auf und blickte sich nach der Katze, seinem Führer, um.
    Sie war nirgendwo zu sehen. Sicher erforschte sie schon die engen Gassen und Gärten hinter den Cafes, deren Lichter so einladend leuchteten. Will nahm seine zerfranste Einkaufstasche in die Hand und ging langsam über die Straße auf die Lichter zu. Er bewegte sich sehr vorsichtig, für den Fall, dass alles plötzlich verschwand.
    Die Stadt hatte etwas Südländisches, doch Will war noch nie außerhalb Englands gewesen, er konnte sie also mit keiner anderen ihm bekannten Stadt vergleichen, aber hier war ein Ort, an dem die Menschen spätabends herauskamen, um zu essen und trinken, zu tanzen und Musik zu hören. Nur dass hier niemand war und eine unendliche Stille herrschte.
    An der ersten Ecke, an die er kam, stand ein Cafe mit grünen Tischchen auf dem Gehweg, einer zinkverkleideten Theke und einer Espressomaschine. Auf einigen Tischen standen halb leere Gläser, in einem Aschenbecher lag eine heruntergebrannte Zigarette, und neben einem Korb mit altbackenen Brötchen, so hart wie Pappe, stand ein Teller mit Risotto.
    Will nahm eine Flasche Limonade aus dem Kühlschrank hinter der Theke und legte, nach kurzem Überlegen, eine Pfundmünze in die Kasse. Er machte die Kasse zu und gleich wieder auf, als ihm einfiel, dass das Geld in der Kasse ihm vielleicht verriet, wie die Stadt hieß. Die Währung hieß Corona, aber daraus konnte er nichts schließen.
    Er legte das Geld zurück und öffnete die Flasche mit einem an der Theke befestigten Flaschenöffner. Dann schlenderte er die Straße entlang, die vom Boulevard wegführte. Kleine Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien gab es dort, Juweliergeschäfte und
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