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Das magische Buch

Das magische Buch

Titel: Das magische Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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mich, wir müssen nach Hause.«
    »Nein, warte … Ich hab ihm nämlich gesagt, er soll schon mal vorgehen, ich müsste mit dir reden«, eröffnet sie mir.
    »Waaaas?«
    Sie sieht mich an, als könnte sie keiner Fliege was zuleide tun. Dieser unschuldige Blick hinter den riesigen Brillengläsern!
    »Gehen wir ein Eis essen?«, schlägt sie vor. »Mit Schokolade?«
    »Hab’s eilig.«
    »Das ist nicht wahr! Du hast es nicht eilig. Du willst nur nicht mit mir zusammen sein.«
    Wieder mal keine Chance! Ehrlich gesagt, ich hab’s schon geahnt, als sie auf mich zugekommen ist.
    Wir gehen in unsere Eisdiele und setzen uns an den Tisch, an dem wir uns die ersten Seiten des Unsichtbaren Buches vorgelesen haben. Das ist jetzt fast ein Jahr her, aber in der Eisdiele sieht es noch genauso aus wie damals. Dieselbe Ausstattung … und derselbe Kellner!
    »Was darf ich den Herrschaften bringen?«, fragt er.
    »Dasselbe wie immer«, antworte ich, ohne zu überlegen. »Zwei große Vanilleeis mit Schokolade und einer Kirsche.«
    »Eine Kirsche für jeden oder eine für beide?«
    »Eine für jeden … Ach ja, und vergessen Sie nicht die Waffel!«
    Er sieht mich genauso böse an wie letztes Jahr. Manche Leute sind eben immer mürrisch.
    »Hier haben wir die ersten Seiten vom Unsichtbaren Buch gelesen«, bemerke ich.
    »Ja, ich erinnere mich noch ganz genau. Du hast dein Eis gelöffelt und mich blöd angeguckt, während ich vorgelesen habe. Du hattest Schokolade am Kinn und hast dir das Hemd eingesaut.«
    »Ich hab mich eingesaut?«
    »Ja, total! Du hast dir die Schokolade bis an die Ohren geschmiert. Und das nur, weil du mich so angestarrt hast. Du fandest mich cool.«
    »Was? Red doch keinen Stuss!«
    »Damals hast du mich zum ersten Mal richtig angesehen«, sagt sie. »Glaub bloß nicht, ich hätte das nicht gemerkt! Wir Mädchen merken so was.«
    »Das ist doch kompletter Schwachsinn!«
    Sie wartet eine Weile, und als sie merkt, dass ich nichts mehr sage, geht sie wieder zum Angriff über:
    »Warum bist du immer gleich so maulig?«
    »Ich bin nicht maulig!«
    »Das merkt man … Was hast du denn? Was ist los mit dir? Du solltest dich über den Erfolg deines Vaters freuen!«
    »Tu ich auch, aber … Manchmal bringt der Erfolg auch Probleme mit sich«, antworte ich. »Aber das verstehst du sowieso nicht.«
    »Hey, vergiss nicht, dass du es mit einer zukünftigen Schriftstellerin zu tun hast. Das heißt, mit einer einfühlsamen Frau, die Menschen versteht«, antwortet sie, jetzt selbst ein bisschen maulig. »Du weißt doch, wir Schriftsteller sind …«
    »Ein Problem! Das seid ihr Schriftsteller: ein Problem!«
    »Worüber beschwerst du dich? Dein Vater hat beschlossen, hier in der Stadt zu bleiben, um dich glücklich zu machen!«
    »Ja, ich weiß, ich weiß! Ich kann’s schon nicht mehr hören!«
    Lucía weiß, wann sie den Mund halten muss. Sie ist nämlich sehr schlau. Deswegen sagt sie jetzt erst einmal nichts, lässt einfach die Zeit für sich arbeiten. Bis das Eis kommt. Sie weiß, dass ich nichts so gerne mag wie Vanilleeis mit Schokolade.
    Ich nehme den Löffel und fange an zu essen. Die Schokolade hier ist wirklich köstlich. Noch ein Löffel … und noch einer …
    »Der Verleger hat meinen Vater gebeten, eine Fortsetzung zu schreiben«, sage ich schließlich.
    »Aber, das ist ja … superklasse!«, ruft Lucía überglücklich. »Ich freue mich sehr!«
    »Anscheinend gibt es mit der Geschichte Probleme«, sage ich. »Sie will nicht so richtig funktionieren.«
    »Was willst du damit sagen? Hast du etwa Angst, dass dein Vater es nicht kann? Dass der zweite Teil nicht so gut wird wie der erste?«
    »Nein, das ist es nicht …«
    »Was dann?«
    Jetzt ist der große Augenblick gekommen, die Kirsche zu essen. Ehrlich gesagt, das Beste am Eis ist die Kirsche, finde ich.
    »Na ja … also … Sieht aus, als könnte mein Vater nicht zwei Bücher in derselben Stadt schreiben. Ich hab das Gefühl, er ist blockiert.«
    Lucía erstarrt, den Löffel in der Hand. Entsetztes Staunen liegt auf ihrem Gesicht.
    »Um Himmels willen! Das ist schlimm! Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«
    »Früher? Wann früher? Bevor ich es wusste? Ich hab’s gerade erst erfahren. Genauer gesagt, gestern Abend. Außerdem bin ich mir noch nicht sicher. Es ist nur so ein Gefühl …«
    Lucía schweigt wieder. Ich glaube, sie hat den Ernst der Lage erkannt.
    »Was können wir dagegen machen?«, fragt sie und schiebt das Eis von sich weg.
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