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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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gleich die kleine Kirche in der Nische kommen. Schon war sie vorbei, eine alte Bekannte, gefangen zwischen unnachgiebigen Wänden. Mit einem dumpfen Plopp kündigte mein telefonino Susas Nachricht an:
    Na toll, du feige Nuss, sobald es um unser Dolce-vita-Ding geht, haust du einfach ab.

    Ich antwortete sofort:
     
    Grazia hat sich das Leben genommen.
     
    Zehn Sekunden später klingelte das Handy.
    »Lella, entschuldige, das war mal wieder typisch für mich, und ich mache auch noch dumme Witze. Es tut mir leid!«
    »Grazia wird heute beerdigt, ich muss da jetzt erst mal hin, ich weiß gar nichts mehr...«
    »Du Ärmste, Moment mal«, rief sie, und dann hörte ich undeutlich: »... natürlich ist noch Schnittlauch im Kühlhaus! Der liegt wie immer unter der Minze. Sorry«, ihre Stimme war wieder lauter, »diese Tamara findet wieder nichts. Aber du hast gerade andere Sorgen.«
    »Jetzt ist nur noch Matilde übrig.« Meine Stimme zitterte. »... und ich wollte doch noch deine Wohnung putzen und schmücken und die ›Fünf‹ für Timmis Torte vorbeibringen...«
    »Hör mal, kleine Itakerin, wie oft soll ich dir das noch sagen: Du sollst bei mir einziehen, nicht meine Putzfrau spielen, und mit Timmis Geburtstag werde ich schon alleine fertig. Hauptsache, du kommst bald zurück. Und zwar mit der Kleinen!«
    Ich schluckte, bevor ich antworten konnte. Wenn sie mich »kleine Itakerin« nannte, war es Susa ernst. »Ja.«
    »Pass auf dich auf - und hol sie her! Ich denke ganz fest an dich.«
    Ich schloss einen Moment lang die Augen. Ich hatte das erste Mal Angst davor, meine Nichte wiederzusehen. Im Februar, was hatten wir da miteinander gemacht? Ich erinnerte mich an den warmen Wind, als ich erleichtert die
große Außentreppe der Klinik hinuntereilte, in der sie Grazia untergebracht hatten, beschwingt von dem Gedanken an mein Patenkind. Wir waren miteinander den Strand entlanggelaufen, sogar barfuß, obwohl ich wusste, dass Grazias Familie damit nicht einverstanden sein würde, denn es war Februar, also noch kein Sommer. Im Februar ging man als Sizilianer nicht an den Strand, basta, egal, ob es so warm war wie an einem Tag im Juni. Matilde krümmte ihre nackten Fußsohlen und rührte sich zunächst nicht vom Fleck, als stünde sie das erste Mal in ihrem Leben im Sand.
    »Lauf! Na los! Ja, du darfst dir die Füße nass machen.« Ich trieb sie an wie ein störrisches Maultierfohlen. Nach ein paar Minuten sprang das Fohlen übermütig auf dem Saum von Algen, Kronkorken und winzigen Muscheln herum, der sich auf dem Sand gebildet hatte. Als ich sie müde auf meinem Rücken zum Auto zurücktrug, klammerte sie sich mit ihren dünnen Armen wie ein Äffchen an meine Schultern.
    Sofort konnte ich Matildes weiche Haut wieder unter meinen Händen spüren, fühlte ihre Rippen und hatte ihren verschwitzten süßen Kindergeruch wieder in der Nase. Was sollte ich ihr nachher nur sagen? Jetzt ist die Mamma auch noch tot, jetzt nehme ich dich mit!?
    Damals, einige Stunden bevor Leonardos Herz in seinem schwer verletzten Körper endlich zu schlagen aufhörte, hatte ich ihm versprochen, mich um Matilde zu kümmern. Jetzt war der Zeitpunkt, das Versprechen einzulösen.
    Doch bei dem Gedanken, Grazias Mutter, Teresa, gegenüberzustehen, wurde mir schon jetzt schlecht. Teresa würde kein Wort mit mir reden, mich nicht an Grazias Sarg und auch nicht zu Matilde lassen.
    In den vergangenen Jahren hatte ich versucht, nicht zu
einer Figur auf einem Foto zu werden, auf die Matilde nur noch mit dem Finger zeigen konnte. Ich hatte so oft wie möglich für Matilde da sein wollen, wollte ihr auch weiterhin etwas von ihren Eltern erzählen, wie sie sich kennengelernt und verliebt hatten, wie sie als Baby von ihnen gehalten und geschaukelt worden war und wie sie mit ihr gesprochen hatten. Meine Bemühungen waren jedoch häufig vergeblich gewesen: Wenn ich mit Matilde telefonierte, wusste ich oft nicht, ob sie schon oder nicht mehr am Apparat war, die meisten meiner Geschenke gingen angeblich mit der Post verloren, und nach jedem meiner Besuche in Bagheria, der Stadt bei Palermo, aus dem auch meine Eltern kamen, war ich deprimiert. Manchmal hatte ich auf meinem Bett in der Pension Pollini gelegen und vor Wut auf mein Kissen eingeschlagen, weil ich Matilde wieder nur eine Stunde, manchmal sogar nur dreißig Minuten gesehen hatte.
    »Sie muss jetzt schlafen«, war noch eine der intelligentesten Ausreden gewesen. Ich hasste die Familie LaMacchia, doch bald
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