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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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wohnte? Zu spät.
    »Tja, dann alles Gute«, wünschte ich ihr, wofür wusste ich nicht genau. Dabei starrte ich von oben auf das silberne Kreuz, das zur Hälfte zwischen den vielen Knöpfen ihrer schwarzen Bluse verschwand, und nahm die Hand, die sie mir reichte. Verwirrt über die trockene Weichheit ihrer Finger, stammelte ich noch ein unwahrscheinlich klingendes »Auf Wiedersehen« und warf einen letzten Blick auf ihren geschwungenen Mund und ihre Augen. Ich lächelte und stieg ein. Was konnte ich auch anderes tun? Wir fuhren los, ich sah sie neben ihrem Taxi stehen, schon blieb sie hinter mir zurück. Schade, dachte ich, die erste Frau, deren Hand die gleiche Temperatur hatte wie meine. Vorbei. Ich benutzte bereits die Vergangenheitsform für sie.
     
    Nach ein paar Metern bat ich den Fahrer anzuhalten, denn um ihm mitzuteilen, wohin genau er in Palermo fahren sollte, brauchte ich die Adresse meines Hotels, und die befand sich in meiner Fototasche, die dummerweise im Kofferraum lag. Ich stieg aus und nahm die Tasche heraus. Doch noch
bevor ich sie geöffnet hatte, wurde mir klar, dass eine Verwechslung vorliegen musste. Es war die Tasche der Lady Madonna, ein ganz ähnliches Modell, genauso bordeauxrot und mit dem gleichen schwarzen Streifen, aber viel älter als meine. Das bedeutete, dass sich meine Fototasche in ihrem Taxi befand, mit meiner Großbildkamera, den Akkus, den Filmen, meinem Handy, meiner Hotelreservierung. Ich hatte mir nicht einmal den Namen des Hotels gemerkt - ich merkte mir selten etwas, was ordentlich ausgedruckt auf einem Zettel zu lesen war.
    Beim flüchtigen Hineinschauen in ihre Tasche konnte ich nur ein wollenes Tuch und Bücher entdecken, drei dicke Romane, alle auf Italienisch. Auch beim genaueren Durchwühlen fand ich keine Adresse, keine Brieftasche, nichts, was mir nützen konnte. Doch ich hatte Glück. Aus dem Augenwinkel sah ich in diesem Moment ihr Taxi an uns vorbeifahren. Ich sprang zurück in den Wagen und rief meinem Fahrer zu: Follow that taxi! And stop it, stop the taxi!«
    Sie fuhren vor uns, ziemlich schnell und gerade noch in Sichtweite.
    »Go! Go!«, forderte ich, damit mein Fahrer endlich aufs Gas drückte. Er schaute mich im Rückspiegel vorwurfsvoll an. Ich starrte zurück. Auf der kleinen Karte am Armaturenbrett las ich, dass seine Lizenz die Nummer 2865 hatte und er Mario Bracciocaldo hieß. Bratschiokaldo wurde das wahrscheinlich ausgesprochen und hieß, wenn ich mich nicht täuschte, ›warmer Arm‹. Ich würde diese Sprache nie lernen.
    Wir verfolgten den Wagen, bis die Autobahn überraschend auf einer ganz normalen Kreuzung endete. Sämtliche Ampeln standen auf Rot, dennoch schoben die Fahrzeuge
sich von allen Seiten vorwärts, ungeachtet der dunkelhäutigen Männer, die Zehnerpacks Papiertaschentücher, Fensterleder und Einmal-Feuerzeuge gegen die Windschutzscheiben drückten. Das Taxi war nicht mehr zu sehen! Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf die Polster. Wir entkamen dem Gewühl mit viel Hupen und Drängeln und schossen wieder über ein Stück Autobahn. Plötzlich sah ich es wieder, in fünfzig Metern Entfernung raste das andere Taxi vor uns davon, sie mussten es sein. Wir fuhren ungefähr zehn Kilometer im selben Abstand, mein Fahrer zuckte die Achseln, als ich ihn erneut zum Schnellerfahren aufforderte, und redete auf mich ein. Offenbar gab der Wagen nicht mehr her. Bei einer Stadt namens Bagheria fuhr das Taxi, in dem hoffentlich meine Lady Madonna mit der Fototasche saß, ab. Auch Mario Bracciocaldo setzte den Blinker. Doch dann verlor sich die Abfahrt in einem Straßengewirr, drei Autos schoben sich zwischen uns, und auf einer T-Kreuzung endete unsere filmreife Verfolgung mit der banalen Frage: rechts oder links? Der andere Wagen war nicht mehr zu sehen. Wir bogen nach rechts, Mario fuhr noch einige Minuten weiter, doch was ich befürchtet hatte, bestätigte sich: Das Taxi der Lady Madonna blieb verschwunden. Schließlich hielt Mario am Straßenrand, drehte die Scheibe runter und besprach unseren Fall mit einem alten Mann, dessen dreirädriges Lastwägelchen er gerade fast platt gefahren hatte. Vielleicht stand ihm der Sinn aber auch nur nach ein paar von den schönen weißen Zwiebeln oder Knoblauchzöpfen, die der alte Herr zum Verkauf auf die Ladefläche gehäuft hatte? Zwei graue Pappdeckel hatte er zittrig mit Filzstift bemalt: »1 kg cipolle 90 C«, »Aglio 1 EU«.
    »La Signorina -Italiana?«

    »Si!«
    » Il nome?«
    Ihr Name? Beide
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