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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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weißen Zehn-Liter-Behälter stapelten sich unten im Keller zu hochragenden Türmen. Zwischen den Eimern, Mehlsäcken und Olivenölkanistern hatte ich mit Leonardo als Kind Verstecken gespielt, Gänge und Indianerforts gebaut. Dort hatte mir Luigi Baldini, der Nachbarsjunge, auch das Küssen gezeigt. Leonardo war überraschend aufgetaucht, hatte uns aber nicht verpetzt. Ich weiß noch heute, wie sehr ich bedauerte, dass Luigi fortan nie mehr ›knutschen‹ spielen, sondern nur wieder als Indianer mit Leonardo durch unsere Gänge schleichen wollte.
    Dann und wann hörten wir nachts Stimmen und Motorgeräusche in unserem Hof. Am nächsten Tag war der Keller ungewohnt leer, auf einen Schlag waren sämtliche Lebensmittel abgeholt worden, und mein Vater hatte noch mehr Geld als sonst in den Hosentaschen. Manchmal schenkte
er uns beiden einen Zwanziger, den wir gerecht teilten, doch dann warteten wir ungeduldig, bis die Lieferungen erneut begannen und unser Spielplatz im Keller wieder in die Höhe wuchs.
    Alles wurde anders, als Leonardo sich mit sechzehn von der Schule abmeldete und nach Wiesbaden ging, um dort eine Kochlehre zu beginnen. In den folgenden drei Jahren war er nicht oft bei uns in Köln. Höchstens für ein, zwei Tage mal oder zwischen Weihnachten und Silvester.
    Ich dachte an den Sommer, in dem Leonardo endlich wieder nach Hause kam. Stolz zeigte er uns sein Abschlusszeugnis und brachte mir das Kochen bei. Ich musste lächeln. Quatschend und lachend hatten wir in der Küche gestanden, und ich hatte mir abgeschaut, wie er das Messer hielt. Hatte versucht, die Schalotten so schnell und gewandt zu schälen wie er, und geübt, meinen Daumen so zu verstecken, wie er es tat, wenn er Gurken und Karotten in hohem Tempo in feine, gleichmäßige Würfel schnitt. Aufmerksam notierte ich mir Leonardos Pasta- und Vorspeisenrezepte in eine Kladde. Heute war sie zerfleddert und mit Fettflecken verziert, doch die Gerichte, die ich daraus zubereitete, waren legendär in unserem Viertel. Ich hielt mich an seinen Grundsatz: Was nicht frisch war, stand nicht auf der Karte. Wenn ich einen Tag Pause machen wollte oder mal wieder heimlich auf dem Weg nach Sizilien war, blieb die Küche kalt, oder die Gäste mussten sich mit der öligen Pizza meines Vaters begnügen. Die meisten fragten, noch bevor sie sich setzten, nach mir und meinen Antipasti. Für meinen Vater kein Problem. »Köchin ist nicht da. Morgen vielleicht wieder.« Er führte sie hinaus, sperrte das Da Salvatore einfach zu und ging. Gelegentlich lachte er laut dabei. Manche
Gäste kamen danach nicht wieder. Auch einige Nachbarn machten um meinen Vater einen Bogen, er war nicht gerade sensibel im Umgang mit ihnen.
     
    Wenn Leonardo doch noch leben würde, dachte ich, und starrte auf Phils gestikulierende Hände.
    Vor einigen Jahren, bevor er losreiste und mich für immer verließ, hatte mein Bruder sich für mich etwas Großartiges ausgedacht, mein eigenes Geschäft hätte es werden sollen: »La Dolce Vita, Italienisches Süßspeisen-Catering für Ihre Party«. Er hatte sich alles überlegt, den Namen und das Konzept ebenso wie die Auswahl an Desserts und Gebäck. Stundenlang hatten wir zusammengesessen und mein Unternehmen geplant. Er brachte mir alle Zubereitungen bei, er schrieb mir auf, wo ich eine günstige Profi-Rührmaschine auftreiben konnte, wo ich Backformen, ausreichend Tabletts, Geschirr, Schüsseln und all den anderen Kram kaufen sollte. Leonardo wusste sogar, wie ich bei der Handelskammer mein eigenes Gewerbe anmelden musste. Doch Vater Salvatore winkte ab.
    »Ein Party-Service, was für ein Quatsch!«, rief er, kleine Speicheltropfen waren wie Funken durch die Luft geflogen. »Hier, wir haben doch unser Geschäft, reicht ihr das etwa nicht? Warum muss meine Tochter Santinella etwas Eigenes haben?«
    Keiner außer ihm nannte mich Santinella. Niemand antwortete. Ich schaute zu Boden, sah aber aus den Augenwinkeln, dass Leonardo Vaters wütenden Blicken gelassen standhielt. Salvatore versuchte es anders.
    »Fehlt es dir an etwas, meine Kleine, brauchst du Geld?« Er zog ein Bündel aus der Hosentasche und blätterte - »Hier
und hier und hier« - einige Geldscheine auf den Tisch. Leonardo nahm die Scheine und hielt sie meinem Vater vor seinen umfangreichen Bauch.
    »Sie braucht kein Geld, Papa. Lella hat hier im Restaurant keine richtige Aufgabe. Seit ihrem Abitur hängt sie nur herum. Sie muss lernen, selbstständig zu arbeiten. Mach ihr Platz in deiner
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