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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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einfach Phil.« Er grinste nervös. »Der Start ist immer das Schlimmste für mich.«
    Was für ungewöhnliche Augen! Das hellste und zugleich kräftigste Blau, das ich je bei einem Menschen gesehen hatte. Schnell schaute ich weg.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich frage, waren Sie...«

    »Bitte, kein ›Sie‹!« Es war grotesk, jemanden mit Händen wie Leonardo zu siezen.
    »Äh, warst du schon mal in Palermo?«
    Ich nickte. »Einige Male.«
    »Und darf ich fragen, was du dort vorhast?«
    »Mmh, Familienfest und so.« Meine Hände ballten sich zu Fäusten vor Verlegenheit. Ein Fest würde es ganz bestimmt nicht werden. Wieso log ich? Wieso war schon mein zweiter an ihn gerichteter Satz eine Lüge? Weil es einfacher war, als die Wahrheit zu erklären. Meine Lügen klangen immer so harmlos, dass jeder sie mir glaubte.
    Schnell fragte ich: »Und? Was hast du dort vor?«
    »Also, ich bin Fotograf und muss in Palermo einen Auftrag ausführen, aber sobald das Projekt abgeschlossen ist, werde ich die Eltern meiner Freundin besuchen.«
    Ich ließ ihn reden und hörte ihm dabei zu, wie er schwärmte und nach Worten suchte. Seine Stimme legte sich um mich wie ein weicher Schal.
    »Ich möchte genau wissen, wie die Straßen in ihrem Dorf aussehen, in welchem Haus sie gewohnt hat, von welchen Tellern sie die verhasste minestrone essen musste, ich werde ihren Schulweg entlanggehen, alles! Vorher muss ich ihr Elternhaus allerdings erst einmal finden, ich weiß gar nicht genau, wo sie überhaupt wohnen.«
    Er war verliebt und irgendwie schüchtern dabei. Von der Seite sah er aus wie dieser Schauspieler, der hübsche Engländer, der gerade überall die Hauptrollen bekam.
    »Wieso ist deine Freundin denn nicht mitgekommen?«, fragte ich später, als wir die Alpen überflogen. Ich beneidete sie in diesem Moment, wie auch immer sie aussah, was auch immer sie tat.

    »Brigida erweitert gerade ihre Galerie, sie hat neue Räume im Hafen angemietet, sie kann jetzt unter keinen Umständen freinehmen.« Phil schüttelte den Kopf, als ob er es selbst gar nicht für möglich hielt, dass ein Mensch so unabkömmlich sein konnte. »Sie ist so souverän, so systematisch und unermüdlich, wenn es darum geht, ihr Ziel zu erreichen.« Seine Augen leuchteten auf. »Erst war sie nur Aushilfe bei einer Fotoagentur, aber dort hat sie sich sehr schnell hochgearbeitet, und heute hat sie eine eigene Galerie. Außerdem eine Agentur für Fotografen im Internet: www.Dieletzte-Rettung. de.« Er lachte. »Typisch Brigida!«
    Ein Dolch streifte mich, ein kleiner eifersüchtiger Kratzer nur. Warum erzählte er mir das alles? Er liebte doch seine Freundin, denn die war souverän.
    Souverän. Was hieß das eigentlich genau? War ich souverän? Natürlich war ich das. Ich führte die Küche in der Pizzeria meines Vaters, ich schmiss den Laden, so nannte man das doch auf Deutsch.
    Als wir noch Kinder waren, hatte das Da Salvatore nie viele Gäste, die meisten Leute aus der Nachbarschaft gingen lieber ins fröhlich lärmende Pinocchio, das nur ein paar Häuser weiter lag. Auch die italienischen Männer, die regelmäßig bei uns festsaßen, die Sportzeitung durchblätterten und über Fußball redeten, tranken nur Espresso oder ein Glas Wein, bevor sie pünktlich abends um acht zum Essen zu ihren Frauen zurückkehrten.
    Leonardo und mich störte es jedoch nicht, dass das Restaurant alles andere als gut lief. Es war unser Wohnzimmer, unser Spielplatz, und basta. Heute verstand ich, woran es gelegen hatte. Es waren die Plastikeimer. Alles, was sich unser Vater unter der italienischen Küche vorstellte, schwamm in
ihnen herum. Champignons, Peperoni, Zucchini, Sardinen und Sardellen kamen, tropfend vom Essig, direkt aus den Eimern auf die Pizza. Vater Salvatore hatte nie gelernt, die kleinen, vorgeformten Hefeteiglinge kunstvoll in die Luft zu werfen. In früheren Jahren stellte er öfter mal einen pizzaiolo ein, der die Dinger zur richtigen Größe jonglierte, der aber spätestens nach einem Monat Streiterei wieder verschwand. Irgendwann drückte Papa den Teig in eine Form, und von nun an stand »Pfannenpizza to go!« auf der Tafel auf dem Bürgersteig.
    »Wir gehen mit der Zeit, das macht man jetzt so«, verteidigte er sich vor uns. Natürlich hatte niemand Einwände.
    Alles, eingeschweißte Zwiebelringe, tiefgekühlte Minestrone, Zabaionepulver, Safranrisotto zum Anrühren, auch Waren, die in unserer Küche nie verwendet wurden, ließ Salvatore sich liefern. Unzählige der
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