Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
Vom Netzwerk:
mochte solche Gemüter, denn sie waren meist zu allem bereit.
    Sie hatte kein sehr weibliches, dafür aber ein äußerst faszinierendes Gesicht. Jetzt, aus der Nähe betrachtet, war es mehr einem Sturm ähnlich. Ihre Schuhe waren gestohlen, denn es waren Militärstiefel, sie selbst hatte rötliche Abdrücke an den Schläfen, als wäre sie von einem Tintenfisch angegriffen worden. Außerdem schien sie lange Zeit nichts wirklich Nahrhaftes zu essen bekommen zu haben, ihre dünnen Handgelenke verrieten dies. Und dennoch war jede Sehne in ihr auf etwas vorbereitet. Sie saß so aufrecht wie ein Dieb, der noch nie erwischt worden war.
    Das war gut.
    »Von welchem Stamm bist du?« Damit zeigte Leonardo, dass er nicht blind war, nur aufmerksam.
    Sie schaute ihn an, ein Gewitter in den Augen blitze auf, dann verschwand es in einem See aus Scham, Reue und Verschlossenheit.
    »Ich weiß es nicht!« Es war die Wahrheit, denn die Wahrheit war immer wie ein Flüstern. Leise, mit zurückgehaltenen Tränen und dennoch voller Hoffnung. Sie roch nach Wald und Tannenzapfen.
    Der Wagen fuhr wieder an.
    »Wasser?« Leonardo zeigte ihr die Klappe der Minibar, die einige Flaschen der kostbaren Flüssigkeit offenbarte, die nicht aus dem Fluss stammte.
    Sie folgte misstrauisch seiner Geste, öffnete ungeschickt den Verschluss, roch mit geschlossenen Augen daran und trank, wie er schon lange niemanden mehr hatte trinken sehen. Als wäre es das Letzte, das es zu tun galt.
    Sie fuhren über die Brooklyn Bridge nach Manhattan. Staunend schaute sie nach oben durch das Glasfenster im Dach und bewunderte die abertausend Lichter, die an den Haltetrossen hingen und die Fahrbahnen auf der Brücke beleuchteten. Anscheinend war sie noch nie in einer solch großen Stadt gewesen. Woher kam sie also? 
    »Soll ich dich irgendwo absetzen? Kennst du jemanden in New York, der dir helfen kann wieder nach Hause zu kommen?« Szuda sagte dies ganz beiläufig, während er scheinbar konzentriert in seinem Notizbuch blätterte.
    »Nein.« Wieder geflüstert.
    »Nein, du kennst niemanden, oder nein, du hast keinen Ort, an den ich dich bringen kann?« Er sah sie an. Das Mädchen fixierte ihn, fast so, als suche sie etwas in seinem Herzen. Er schmunzelte.
    »Zweimal nein!« Ihre Stimme klang nun fester, gestärkter.
    Er ließ die Trennscheibe hinunter. Das Mädchen drehte sich erschrocken nach dem Summen um, dann spähte sie interessiert durch die Frontscheibe.
    »Spanish, wir fahren ins Theater.« Der Fahrer hob kurz die Hand, dass er verstanden hatte, dann glitt die Scheibe wieder nach oben.
    »Ein seltsamer Name«, murmelte das Mädchen.
    »Er hat ihn sich selbst gegeben. Hast du einen Namen?« Sie hob den Kopf. Leonardo konnte förmlich die Gedanken rattern hören. Sie war auf der Hut. Aber da war noch mehr, eine kaum sichtbare Verzweiflung, die ausschließlich dieses Thema betraf. Er beschloss ihr zu helfen.
    »Nun, ich kann deine Zurückhaltung verstehen. Ich denke, dass kaum mehr als eine Handvoll Menschen hier ihren richtigen Namen tragen, warum auch. Dies ist die Stadt, die keine Namen hören will, nein, denn sie will dein Herz schlagen sehen.« Ein dankbares Lächeln flitzte über ihre zerfurchten Lippen. Man müsste sie mindestens einen halben Tag lang in eine Wanne mit heißem Wasser tunken, ein gutes Essen, etwas anständige Kleidung, ein wenig Schminke für die blauen Flecke, dann wäre sie eine faszinierende Schönheit, da war sich Szuda sicher. Der kahlgeschorene Kopf, nunja, da half wohl nur noch eine Perücke.
    »Wenn es in Ordnung für dich ist, nenne ich dich erst einmal Nove, eine Abkürzung für November, der Monat, als sich unsere Wege kreuzten.« Sie dachte darüber nach, formte mit den verkrusteten Lippen den Spitznamen nach, als müsse sie prüfen, wie er schmeckte, dann nickte sie einfach und sah aus dem Fenster, die Hände ruhig in den Schoß gelegt.
    Sie fuhren die 5th Avenue entlang, vorbei an den hohen, gewaltigen Gebäuden der Reichen und jenen, die es gerne sein wollten, um den alten Triumphbogen herum, der zum Gedenken an die Siedlerkriege gebaut worden war, weiter in den Theater-Distrikt, der Leonardos zweites Zuhause war. Schillernde Lichter überall, von Pulver betriebene Reklametafeln, groß und leuchtend, Filme und Vergnügen anpreisend. Hier fühlte er sich wohl, hier war seine Mitte.
    Das Mädchen nahm all das einfach nur auf, so wirkte es jedenfalls. Szuda erkannte, dass dies doch nicht die erste große Stadt war, die sie zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher