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Das Licht Von Atlantis

Das Licht Von Atlantis

Titel: Das Licht Von Atlantis
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Schultern. »Niemals, solange du nicht selbst gehen willst, Schwesterchen«, versprach sie. Doch die kritiklose Bewunderung, die aus der Stimme des Kindes sprach, beunruhigte sie. »Deoris -« sie schob die Hand unter das kleine Kinn und drehte das Gesicht ihrer Schwester zu sich - »du darfst mich nicht auf diese Weise vergöttern. Ich mag das nicht.«
    Deoris antwortete nicht, und Domaris seufzte. Deoris war ein merkwürdiges Kind. Meistens sehr reserviert und zurückhaltend, liebte sie einige wenige Personen so stürmisch, dass es Domaris beunruhigte. Deoris kannte in ihrer Liebe und in ihrem Hass keine Mäßigung. Bin ich daran schuld? fragt sich Domaris. Habe ich zugelassen, dass sie mich so unvernünftig vergöttert, als sie noch klein war?
    Ihre Mutter war schon bei Deoris' Geburt gestorben. Die achtjährige Domaris hatte in jener Nacht den Entschluss gefasst, ihre neugeborene Schwester solle niemals der Fürsorge einer Mutter entbehren. Die Amme hatte versucht, sie zu einer gewissen Zurückhaltung zu zwingen. Aber als Deoris entwöhnt wurde, hörte ihr Einfluss auf. Die beiden Schwestern waren von nun an unzertrennlich. Die kleine Schwester ersetzte Domaris die Puppen, die sie einfach wegwarf. Auch als Domaris älter wurde und Unterricht bekam, und später, als sie Pflichten im Tempel übernehmen musste, hing Deoris ständig an ihrem Rock. Bis Domaris in das Haus der Zwölf eintrat, waren sie niemals auch nur einen einzigen Tag getrennt gewesen.
    Domaris war erst dreizehn, als sie mit Arvath von Alkonath verlobt wurde. Er war ebenfalls Akoluth und derjenige unter den Zwölf, dessen Himmelszeichen in Opposition zu ihrem stand. Somit ergänzten sie sich. Domaris hatte es immer als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, dass sie Arvath eines Tages heiraten würde, ebenso wie sie den Aufgang und den Untergang der Sonne hinnahm. Domaris hatte nicht die leiseste Ahnung, dass sie eine schöne Frau war. Die Priester, unter denen sie aufgewachsen war, behandelten sie alle mit der gleichen, selbstverständlichen Zuneigung. Arvath hatte schon öfter eine engere Beziehung zu ihr gesucht. Domaris reagierte darauf aber mit sehr gemischten Empfindungen. Arvaths Jugend und Lebensfreude sprachen sie an, aber von echter Liebe oder gar von bewusstem Verlangen konnte nicht die Rede sein. Einerseits zu ehrlich, um ein Gefühl zu heucheln, das sie nicht empfand, war sie andererseits zu gutmütig, um ihn ganz und gar zurückzustoßen, und zu unschuldig, um sich einen anderen Liebhaber zu suchen. Manchmal beschäftigte sie sich mit Arvath in Gedanken, aber sie nahm das Problem ihrer fehlenden Zuneigung nicht allzu ernst.
    Stumm saß sie neben Deoris, von einer vagen Unruhe erfüllt. Die Blitze flackerten und zuckten unregelmäßig wie die Sätze einer unterbrochenen Beschwörung.
    Plötzlich überlief Domaris ein langer Schauer. Sie klammerte sich an ihre Schwester, bebend im eisigen Griff der Angst. »Domaris, was ist das, was ist das?« jammerte Deoris. Domaris' Atem kam stoßweise, und ihre Finger bohrten sich heftig in die Schulter des Kindes.
    »Ich weiß es nicht... ich wünschte, ich wüsste es«, hauchte sie entsetzt. Dann nahm sie alle Kraft zusammen und gewann die Beherrschung zurück. Rajastas Lehren hatten sich ihrem Gedächtnis eingeprägt, und sie versuchte, sie anzuwenden.
    »Deoris, keine Macht des Bösen kann uns schaden, solange wir es nicht zulassen. Leg dich hin -« Sie ging mit gutem Beispiel voran und fasste in der Dunkelheit nach den Händen ihrer Schwester. »Jetzt wollen wir das Gebet sprechen, das wir immer aufsagten, als wir noch kleine Kinder waren. Und dann schlafen wir.« Obwohl ihre Stimme ruhig klang und ihre Worte ermutigend waren, hielt Domaris die kalten kleinen Finger in ihren Händen ein bisschen zu fest. Heute war die Nacht des Nadir, in der alle Mächte der Erde entfesselt werden, die guten wie die bösen, beide in gleicher Zahl, damit die Menschen sich entscheiden können.
    »Erschaffer aller sterblichen Dinge«, begann sie mit leiser Stimme, die vor strenger Selbstkontrolle heiser klang. Zitternd fiel Deoris ein, und die Helligkeit des alten Gebets umgab sie beide wie ein Schutz. Die Nacht, die bis dahin ungewöhnlich ruhig gewesen war, verlor ein wenig von ihrem Grauen, und die Hitze lastete nicht mehr so drückend auf ihnen. Domaris' verkrampfte Muskeln wurden locker, die gereizten Nerven entspannten sich.
    Deoris dagegen wimmerte und kuschelte sich an sie wie ein verängstigtes
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