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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka
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Schritte durch den Schnee.
    »Ich habe den Weg verloren«, murmelt er und schüttelt den Kopf wie ein sehr alter Mann. Die Schneeflocken fallen wieder dichter.
    Dann geht er und verschwindet, wie der Regenbogen verschwand.

GABORS FURT
    W ie alle Außenseiter hat April nie darum gebeten, einer zu sein. Gerne würde sie mit Nell und den anderen Kindern spielen. Geschwister, insbesondere ein Bruder, hätten geholfen, die Aufmerksamkeit der einzigen Person, auf die sie gerne verzichtet hätte, von ihr abzulenken. Doch ihre Mutter ist im Kindbett gestorben, einen Bruder hat es nie gegeben, und ihr Vater – der einzige und nach einhelliger Meinung schlechteste Küfer von Gabors Furt – trägt ihr mit großer Genugtuung Arbeiten auf, die dafür sorgen, dass andere es schwerer haben als er selbst.
    Die meiste Zeit ist April daher beschäftigt, die Werkstatt zu putzen, Wäsche zu waschen, Holz zu schleppen. Nell findet das in der Regel ganz lustig. Wie das eine Mal, als sie mit ihrer Freundin auf einem der Pferde ihres Vaters vorbeireitet.
    »Hey, April. Wir reiten runter zum Fluss. Du hast wohl noch zu tun, was?«
    Nell ist ihre Cousine, und Aprils Vater wird nie müde, zu betonen, was für ein Glück seine Schwester und deren Mann mit einer Tochter wie ihr hatten. Nell hat eine schöne Nase, heißt es, sie ist der Stolz der kleinen Schule, sagt die Lehrerin, und sie hat zarte Hände und keinen Schmutz an den Kleidern. Sie wird einmal einen guten Mann heiraten, sagen alle.
    »Sieht wohl so aus«, sagt April und missachtet die spöttischen Blicke vom Pferderücken.
    »Vom Anstarren werden deine Füße jedenfalls nicht sauber«, kichert Nell. »Oder wartest du, dass die Erde sich auftut?«
    Da hebt April den Blick und richtet ihn auf die kichernden Mädchen. »Dein Vater kommt gleich. Weiß er, dass du das Pferd hast? Ihr verschwindet besser.«
    »Ihre Augen sehen wohl in der Nacht«, sagt Nell zu ihrer Freundin. »Ich frage mich, was Bruder Tito davon hielte.«
    Bruder Tito ist der Paraspriester und die selbsterklärte gute Seele seines Dorfs, dem er die komplizierten Nuancen der kaiserlichen Religion und ihres geteilten Gottes zu vermitteln versucht.
    Als Nells Vater dann wirklich kommt und die beiden Mädchen wieder einsammelt, verstummt sie. Spätestens von diesem Tage an haben die meisten Kinder Angst vor April, und sie merkt, dass sie vorsichtiger sein muss.
    Denn Nell liegt mit ihrer unbedachten Aussage richtiger, als sie ahnt.
    Für April stellt sich die Welt ihrer Kindheit als ein Muster von Mächten dar, die den anderen Menschen verborgen sind. Manchmal träumt sie von einem fernen Ort in den Bergen, an dem sich diese Mächte wie funkelnder Schnee gesammelt haben. Er leuchtet so hell, dass sie den Glanz als die andere Sonne bezeichnet, und sie hätte jederzeit den Weg dorthin deuten können: nach Süden, und ein wenig nach Osten, in der Einsamkeit hoher Gipfel.
    Genauso nimmt sie aber auch die Abwesenheit dieser Mächte überall sonst wahr, wie eine bedrohliche Leere, die in allem schlummert. Es ist, als sähe sie die Nacht, jede einzelne Facette ihrer Lichtlosigkeit – und manchmal, wenn sie sich zu sehr darauf konzentriert, droht es sie zu verschlingen. Doch selbst wenn sie den dunklen Sog ignorieren will, spürt sie, wenn sich ihr jemand nähert, und einige Leute kann sie sogar auseinanderhalten.
    Nur manchmal denkt sie an den einzigen, den sie je traf, der anders war als die anderen; der strahlte, statt zu verschlingen: Sie denkt an den Zauberer im Schnee und fragt sich, ob es ihn wirklich gegeben hat.

    Nell wäre nicht Nell, hätte sie es darauf beruhen lassen, und so treibt sie Aprils Bekanntschaft mit dem Fluss eines Tages mit einem kräftigen Stoß in den Rücken voran.
    Es wäre nicht mehr als ein hässlicher Spaß, wäre April nicht dank ihres Vaters eine sehr ungeübte Schwimmerin und der Fluss nicht dank ergiebiger Regenfälle tiefer als üblich. Mehr noch als die Aussicht auf den Tod aber hasst April die Vorstellung, vor den Augen ihrer Cousine mit ihm zu ringen, und so geht sie rasch unter und beginnt erst richtig zu kämpfen, als Nell längst erschrocken die Flucht ergriffen hat, und sie schon kaum noch die Kraft dazu aufbringen kann.
    Als Retter in der Not erweist sich Todd, der Sohn des Gerbers, der ein Stückchen stromabwärts mit einem Schiffchen spielt. Todds Familie wird zu Recht des Geruchs wegen gemieden, aber Umgang mit Wasser hat er schon deshalb stets reichlich gehabt. Tatsächlich ist
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