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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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wer sie ist, auch wenn sie ohne ihre Eskorte bewaffneter Bravi unterwegs war. Die Abtei liegt auf ihrem Hoheitsgebiet.«
    »Und Rom ist nur zwei Tagesritte entfernt«, ergänzt Fra Gil. »Ich möchte nicht wissen, was geschieht, wenn der Kardinal sie in diesem Zustand findet.«
    »Er wird uns exkommunizieren«, prophezeit Fra Adrian düster.
    »Mit päpstlichem Segen. Papst Nikolaus selbst wird ihm die Glocke, die Kerze und die Heilige Schrift reichen.«
    »Der Großmeister wird uns aus dem Höllenfeuer retten!«, wendet Fra Adrian ein.
    »Fra Jean Bonpart de Lastic?« Fra Gil lacht trocken. »Verehrter Bruder, diese Geheimoperation hat nie stattgefunden! Fra Diniz ist nicht in der Schlacht gefallen. Und Fra Galcerán ist nicht von ihr ermordet worden.« Er klingt verbittert.
    Wen meint er? Von wem ist Fra Galcerán ermordet worden? Und wer ist Fra Diniz? Ein fünfter Mönch? Der Name klingt portugiesisch. Du lieber Himmel, welchem Orden gehören sie denn an? Sie tragen Kettenhemden unter ihren Habites. Sind die Tempelritter wiederauferstanden?
    Was habe ich mit alldem zu tun? Der Schlüssel in meiner Hand … Was geht hier vor?
    »Wie ärgerlich!«, wiederholt Fra Adrian.
    »War der Einsatz in Konstantinopolis denn nicht vom Papst befohlen worden?«, fragt Fra Lionel verwirrt. »Ich dachte, der Großmeister hat …«
    »Seine Heiligkeit weiß nichts davon«, gesteht Fra Gil.
    Interessant! Ich vermute, dass die drei sich erst seit wenigen Stunden kennen. Hat Fra Gil die anderen um Hilfe gebeten? Es scheint so. Ist er in ein nahe gelegenes Ordenshaus geritten, nach Rom oder Orvieto oder Capua oder Atri oder wohin auch immer, um sie hierherzuholen? Fra Gil scheint zu wissen, worum es geht – die beiden anderen nicht. Nimmt Fra Gil einen höheren Rang im Orden ein? Trotz seiner maurisch-muslimischen Herkunft? Vorhin ist ihm das ›Allahu akbar!‹ herausgerutscht, und sein Kastilisch klingt, als stamme er aus Granada. Woher weiß ich das? Vielleicht habe ich ja dort gelebt?
    »Allmächtiger Gott! Papst Nikolaus weiß nichts davon?«, stöhnt Fra Adrian. Seine Stimme klingt dumpf, als berge er das Gesicht in beiden Händen.
    »Und was jetzt?«, fragt Fra Lionel. Seine Stimme klingt gepresst, als fürchte er den Zorn des Papstes. Wieso ich das denke? Ich habe das Gefühl, dass ich oft gezwungen bin, Menschen nach dem ersten Eindruck einzuschätzen. Dass ich ihnen vertrauen muss, ohne sie zu kennen.
    »Wir machen weiter wie besprochen«, entscheidet Fra Gil resolut. »Wir müssen die Reliquie finden, bevor der Kardinal oder der Papst hier auftauchen.«
    Schweigen.
    »Und was heißt das?«, fragt Fra Lionel.
    Jemand atmet langsam durch die Nase aus. Ist es Fra Gil?
    »Sie ist tot«, sagt er schließlich leise. »Lasst sie uns begraben.«

Kapitel 2
    In der Zelle des Abtes
21. Dezember 1453
Kurz nach halb acht Uhr morgens
    Nein, das ist alles nicht wahr!, rede ich mir ein, um mich zu beruhigen. Das geschieht nicht wirklich!
    Verzweifelt versuche ich mich gegen die Hände zu wehren, die mich jetzt packen und vom Bett hochheben. Ich höre das Rascheln des Lakens und frage mich, ob ich nackt bin. Nein, ich trage ein langes Gewand. Ein Nachthemd? Einen Habit? Hat Fra Gil ihn mir angezogen, nachdem er mich gewaschen hat?
    Ich kenne seine Stimme. Ich weiß, ich bin ihm schon einmal begegnet. Aber wo? In Rom? Oder in Granada? Aber wer ist er? Ich kann mich nicht an sein Gesicht erinnern … oder doch? Kurz geschnittenes, in der Sonne hell schimmerndes Haar, gestutzter Bart, blaue Augen. Unverkennbar maurische Gesichtszüge. Trug er nicht eine Djellabiya aus saphirblauer Seide und einen weißen Turban? Sein Name war … Ich weiß es nicht, ich habe ihn vergessen. Wie ich mein ganzes Leben vergessen habe.
    Das Gefühl, dass ich von ihm bedroht werde, wird immer greifbarer.
    Gibt es denn kein Erwachen aus diesem Albtraum?
    »Lasst mich in Ruhe!«, schreie ich. »Ich bin nicht tot! Ihr könnt nicht einfach so tun, als wüsstet ihr das nicht! Mein Herz schlägt! Ich atme! Ich empfinde! Ich spüre, was ihr mir antut! Ihr dürft mich nicht lebendig begraben! Legt mich zurück auf das Bett, sofort !«
    Die Ohnmacht, dass ich mich nicht gegen sie wehren kann, und die rasende Wut lassen mich aufschluchzen. Heiße Tränen steigen in meine Augen. Ich will sie fortblinzeln, doch es geht nicht. Als ich hochgehoben werde, fließt eine Träne aus meinem Augenwinkel, rinnt über meine Schläfe hinunter bis in mein Ohr.
    »Seht doch, sie weint.«
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