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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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für tot erklärt, obwohl du noch lebst, atmest und fühlst, reicht ein einziges Wort: Hölle.«

Noch zwei Tage …

Alessandra
    Kapitel 1
    In der Zelle des Abtes
21. Dezember 1453
Nach dem Stundengebet der Laudes im Morgengrauen
    Schlaf, dem Tode nah …
    Die Finsternis des Vergessens umgibt mich wie ein undurchdringlicher Nebel. Zwei Hände ragen daraus hervor. Blut rinnt von ihnen herab. Sind es meine Hände? Eine Hand wühlt in Fleisch und Blut, die andere umklammert den blutigen Dolch. Jemand schluchzt und schreit. Bin das ich?
    Und wer ist der andere, dessen Körper verdreht auf dem Marmorboden liegt? Was ich da vor mir sehe, wird auch mit mir geschehen.
    Wie ein scharfer Schmerz durchzuckt mich die Ahnung der Gefahr, die hinter mir lauert. Mein Blut gefriert zu Eiskristallen. Mit dem Dolch in der Hand wirbele ich herum. Ein schwarzer Schemen, der die Finsternis in sich aufzusaugen scheint, kommt langsam und bedrohlich auf mich zu …
    Mit einem Ruck werde ich fortgerissen. Wohin jetzt? Ich weiß es nicht. Wieder nur Finsternis um mich herum. Und immer noch das zutiefst verstörende und doch befreiende Gefühl, keinen Körper mehr zu haben, der Schmerz empfinden kann, die Qualen des Todeskampfes oder die Wonnen der sinnlichen Vereinigung mit dem Geliebten.
    Ist Sterben wie Einschlafen ohne Träumen? Aber was war das eben? Eine Erinnerung? Oder ein Albtraum?
    »Komm zurück!«
    Wie dieser Zustand angefangen hat? Es begann mit einem Schmerz, der mich durchzuckte und dann ganz plötzlich verschwand. Dann hatte ich das Gefühl, über einem finsteren Abgrund zu schweben, erfüllt von einem überwältigenden Empfinden von Wärme, Freude und Zufriedenheit. Ich kann mich erinnern, dass ich dachte, ich wäre tot.
    »Komm zurück!«
    Woher kommt die Stimme? Ich lausche, doch außer dem leisen Glockenläuten, das wie von einem Wind aus weiter Ferne zu mir herübergeweht wird, kann ich nichts hören. Abwartend schwebe ich in der schwarzen Leere.
    »Komm zurück! Du kannst es, wenn du es willst!«
    Da ist es wieder!
    Eine tiefe, samtige Stimme. Eine tröstende Stimme, in die man sich einwickeln könnte wie in eine wärmende Decke, um sicher und geborgen darin zu sein.
    Ein Mann, er ist ganz nah. Als ob er neben mir steht. Als ob er mich gleich berührt. Doch ich kann nichts spüren. Wo ist er? Ist er auch gestorben?
    »Komm zurück zu mir!«

    Wieder ein Ruck. Dann habe ich das Gefühl, aus großer Höhe zu fallen. Von panischem Schrecken ergriffen, denke ich: Ich stürze ab!
    Der Schmerz des Aufpralls lässt mich aufstöhnen. Von den herrlichen Gefühlen von Frieden und Ruhe, die mich dort erfüllt hatten, bringe ich nichts mit zurück. Sie sind fort, geblieben sind nur die Schwere und der Schmerz.
    »Dieu soit avec nous!«, ruft eine andere Stimme. Sie ist rau und durchdringend wie eine knarrende Tür aus altem Holz. »Fra Gil, sieh doch nur!«, wechselt er ins Lateinische. »Sie hat die Augen geöffnet!« Leise raschelt Stoff. Bekreuzigt er sich?
    Wie kann er mich sehen?, frage ich mich verwirrt. Es ist doch noch immer finster um mich herum! Ich kann keinen Lichtschimmer erkennen. Ein leises Knacken und Knistern, der Duft von brennendem Holz und eine glühende Hitze lassen mich auf ein flackerndes Kaminfeuer schließen, das die eisige Winterkälte vertreiben soll. Das Gemäuer oberhalb meines Kopfes strahlt eine feuchte Kälte aus, die ein entsetzliches Gliederreißen verursacht. Ein eisiger Luftzug dringt vom Ende meines Bettes zu mir. Wo bin ich?
    »Allahu akbar!«, flüstert die sanfte Stimme, die offenbar Fra Gil gehört. Wieder raschelt Stoff. Bekreuzigt er sich auch? Dann kann ich einen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren. Jemand beugt sich über mich.
    Seine Stimme klingt sanft und tröstend, doch ich spüre seinen Hass und seine Verachtung. Wieso hasst er mich? Was habe ich ihm getan? Panik steigt in mir auf, und ich atme tief durch, um mich zu beruhigen. Ich versuche mich zu bewegen, aber ich schaffe es nicht. Sind meine Hände gefesselt?
    »Kannst du mich hören?«, fragt Fra Gil auf Kastilisch mit leicht maurischem Akzent. Woher kenne ich seine Stimme?
    »Ja«, antworte ich und versuche zu nicken. »Wer bist …«
    »Sie scheint mich nicht zu verstehen«, murmelt Fra Gil enttäuscht, jetzt wieder auf Lateinisch. Er klingt … angespannt? Ungeduldig? Beunruhigt? Und irgendwie hoffnungslos. Aber wieso? Ich verstehe nicht, was hier vorgeht!
    »Doch, ich kann dich hören!« Ich will die Hand heben, aber ich
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